»Stunde der Lokalpatrioten im Parlament«

Das Vorhaben der Thüringer Landesregierung, größere Kommunen zu schaffen, ist umstritten

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die rot-rot-grüne Regierungskoalition will eine Gebietsreform - und muss dabei mit dem Widerstand vor allem von linken und sozialdemokratischen Kommunalpolitikern umgehen. Das hinterlässt Spuren.

Dass in immer mehr Kommunen der Widerstand gegen eine Gebietsreform in Thüringen immer größer wird, das tun weder André Blechschmidt noch Matthias Hey ab. Und sie geben das sogar zu. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Landtag sowie der Vorsitzende der SPD-Abgeordneten im Landesparlament in Erfurt sprechen offen davon, dass es ihnen Sorge bereitet, wie sehr sich der Protest gegen die geplante Verschmelzung von Gemeinden und Landkreisen organisiert.

Umso mehr muss sie das freilich sorgen, weil inzwischen auch ihre jeweiligen Parteifreunde Stimmung gegen eines der wichtigsten Reformvorhaben der Koalition aus Linkspartei, SPD und Grünen machen. Besonders deutlich lässt sich das derzeit in Mittelthüringen beobachten: Dort laufen auf der kommunalen Ebene vor allem auch Sozialdemokraten Sturm gegen die Idee, Weimar die Kreisfreiheit zu nehmen oder den die Kulturstadt umgebenden Kreis Weimarer Land mit seiner Kreisstadt Apolda zu zerschlagen.

Hey spricht vielleicht auch deshalb sogar noch offener als Blechschmidt darüber, was solche Haltungen von Parteifreunden für die Reform bedeuten. Während der LINKE sagt, er nehme wahr, dass aus den Kommunen heraus vorwiegend Menschen mit CDU-Parteibuch Widerstand gegen eine Gebietsreform leisteten, räumt der Sozialdemokrat den Widerstand in den eigenen Reihen ein und erkennt an, dass dieser auch für den rot-rot-grünen Teil der Landespolitik zu einer Bewährungsprobe werden wird. »Jetzt kommt die Stunde der Lokalpatrioten im Parlament«, sagt Hey. »Das wissen wir.« Damit meint er: Es besteht durchaus die reale Gefahr, dass die Ein-Stimmen-Mehrheit von Rot-Rot-Grün nicht steht, wenn die Umstrukturierung Thüringens in Erfurt abgestimmt werden muss und sich einzelne Abgeordnete aus den Reihen des Bündnisses aus ihren Wahlkreisen heraus so großem Druck ausgesetzt sehen, dass sie nicht für die Abschaffung ihrer Heimatkommune in deren derzeitiger Form stimmen können.

Hey ist daher in der Auseinandersetzung mit den Kritikern einer Gebietsreform auch wenig zimperlich. Denen, die es ablehnen, größere Kommunen zu schaffen, wirft er vor, nur ihre lokalen Interessen im Blick zu haben - nicht aber im Sinne des gesamten Freistaates zu denken; etwas, zu dem die Landespolitik aber verpflichtet sei. »Es geht hier nicht um eine einzelne Stadt«, sagt Hey. Im gleichen Atemzug kündigt er an, sich von den Nein-Sagern nicht beeindrucken zu lassen. »Eine reine Verweigerungstaktik wird nichts nutzen.«

Bei der CDU dagegen sieht man sich durch den Widerstand von unten gegen eine Gebietsreform nur gestärkt - und nutzt jede Gelegenheit, den rot-rot-grünen Verfechtern von mehr bürgerlicher Mitbestimmung vorzuwerfen, es mit diesen, eigenen Vorsätzen gerade bei diesem wichtigen Projekt nicht ernst zu nehmen. Auf Twitter stichelte der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag, Mike Mohring, erst vor wenigen Tagen, Rot-Rot-Grün rede in puncto Gebietsreform überhaupt nicht mehr mit den Bürgern. Die Grüne-Politikerin und Umweltministerin Anja Siegesmund wollte das allerdings nicht auf sich und der Koalition sitzen lassen und schrieb zurück: »Wir reden mehr mit den BürgerInnen und beteiligen sie mehr als ihr jemals!« Dann ging das Twitter-Gefecht zwischen Mohring und ihr weiter. So wie die Debatte im Land.

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