Machen Sie ne Therapie, Frau Steinbach!

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Alle watschen nun Erika Steinbach wegen ihres Tweets ab. Das von ihr getwitterte Foto indischer Frauen, die ein blondes Mädchen begaffen, ist aber familiäre Verarbeitung. Überhaupt scheint alles, was sie zur Flüchtlingsdebatte absondert, eine Projektion ihres Schattenarchetyps zu sein.

Die Frauen eines indischen Dorfes stehen um einen Blondschopf. Sie machen große Augen, beugen sich zu ihm herunter, einige lachen ob der Exotik. Das Bild kursierte schon einige Jahre in etwaigen sozialen Netzwerken. Völkische User posteten es gerne. Nun auch Erika Steinbach, ehemalige Vertriebenenpräsidentin. Sie überschrieb es gleich noch mit dem griffigen Slogan: »Deutschland 2030«. Völlig nachvollziehbar die Reaktionen darauf. Dass das einer Person, die in ihrer Partei als Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe fungiere, nicht würdig sei, ist zweifelsfrei richtig. Es ist ferner Panikmache. Das Bild ist zudem komplett aus dem Zusammenhang gerissen, denn es entstand in Indien und zeigt damit eigentlich das, was Steinbach sich scheinbar wünscht: Eine relativ homogene autochthone Gesellschaft, die Minderheiten verspottet – und eben nicht das glatte Gegenteil dessen, wie sie mit dem Posting suggerieren möchte.

Gleichwohl müssen wir Frau Steinbach psychologisch deuten. Wir haben es mit einer derart bigotten und doppeldeutigen Persönlichkeit zu tun, dass man mit den Mitteln von Rationalität und Sittlichkeit gar nicht diesem Phänomen, das sie in der politischen Landschaft darstellt, auflauern können. Sie war zum Beispiel Präsidentin der Vertriebenen, obgleich ihr Vater – ein Wehrmachtssoldat – erst in der Folge des Polenfeldzuges in Reichsgau Danzig »heimisch« wurde. Die Familie des Vaters stammte aus Hessen, die der Mutter aus Bremen. Dennoch behauptete sie stets, »ihre Heimat« verloren zu haben – eine Heimat, aus der sie im nicht erinnerungsfähigen Alter von anderthalb Jahren fliehen musste.

Man könnte es auch anders ausdrücken: Die Ex-Vertriebenenpräsidentin bekleidete dieses Amt, obgleich sie einer vertreibenden Familie angehörte. Oder aber so: Obgleich sie sich als Vertriebene wähnt, pflegt sie einen rüden Ton im Bezug auf jene, die jetzt als Vertriebene eines Bürgerkrieges zu uns kommen. Das macht die Frau zu einer Figur, die man nicht mit einem »normalem Maßstab« behandeln kann. Man könnte hingegen mit der psychoanalytischen Projektionsthese einhaken und behaupten, dass das Foto, das sie twitterte, ein verdrängenden Abwehrmechanismus darstelle. Denn 1939 hätte man staunende deutsche Technokraten und Militärs um ein jüdisches Mädchen stellen können und es hätte dasselbe ausgedrückt wie das, was Steinbach jetzt per Tweet in die Welt hinaus zwitscherte.

Mit Carl Gustav Jungs Weiterführung, mit seiner analytischen Psychologie gesprochen, haben wir es beim Verhalten dieser Frau mit der Projektion eines Schattenarchetyps zu tun. Verdrängte Taten oder weggeschobene Leichen im Keller ihrer Familie, die mit den Normen der Nachkriegsgesellschaft kollidieren und für die sie sich schämt, überträgt sie zur Verarbeitung und Verlagerung auf andere Menschen und Gruppen, um sich von den Makeln der Vergangenheit distanzieren zu können. Dieser Abwehrmechanismus dient der psychologischen Krisenbewältigung. Das Negative als Übertrag an den Nächsten, schmälert ungünstige Aspekte und unerwünschte Impulse an der eigenen Persönlichkeit oder Familie.

Nein, es geht nicht darum, dass wir Erika Steinbach jetzt pathologisieren, um es uns schön einfach zu machen mit ihr. Aber selten war jemand auf der politischen Bühne derart verquer, hat so unglaublich an einer Fehlstellung zwischen Herkunft und Anschauung, zwischen eigener Geschichte und Abwehrreflexen gelitten. Alles was sie Flüchtlingen heute unterstellt, hat sich die Wehrmacht als Besatzungsmacht in Polen geleistet, ist aber nicht der Plan von Syrern heute. Alles was sie heute an Beißreflexen zeitigt, ist die Reaktion von jemanden, der sich vertrieben fühlt und weiß, dass er es eigentlich nie war.

Hören Sie endlich auf zu verdrängen, Frau Steinbach. Stellen Sie sich doch endlich Ihrer Familiengeschichte und missbrauchen Sie die Politik und Ihre Öffentlichkeit nicht andauernd als Surrogat für einen Therapiebesuch!

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