Slumtourismus - Für und Wider
Vom Geschäft mit der Armut bis Hilfe zur Selbsthilfe
Noch bis zum Sonntag verwandeln sich zur Internationalen Tourismus Börse (ITB) die Messehallen unterm Berliner Funkturm wieder in einen riesigen, bunt schillernden Katalog, mit dem Anbieter aus aller Welt für ihre attraktivsten Reiseziele werben. Von den »schönsten« Stränden bis zu den »beeindruckendsten« Bergpanoramen gibt es nichts, was im bunten Potpourri fehlt. Mit einer Ausnahme: Kein Land wirbt für Besuche von Slums und Favelas! So was gehört sich einfach nicht! Oder?
Wenn sie auch nicht vordergründig dafür Reklame machen - immer mehr Reiseveranstalter bieten ihren Gästen einen Blick hinter die glänzenden Fassaden. Und das Interesse der Touristen für solche Angebote wächst. Die Ansichten über diese Art von Tourismus gehen indes weit auseinander. Während Skeptiker meinen, den Veranstaltern gehe es dabei nur um ein Geschäft mit der Armut, sehen andere darin eine Möglichkeit, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.
Kliptown Youth Program: www.kliptownyouthprogram.org.za Reality Tours: realitytoursandtravel.com
Ribeira Bote: facebook: Comunidade Ribeira Bote
www.studiosus.com www.reisenmitsinnen.de
Beiträge über beispielhafte Projekte, die von Touristen besucht werden können, siehe »nd« vom 30.5./1.6.2014, S. 30: »Spielen für eine bessere Zukunft« und vom 5./6.12.2015, S. 31:
»Abseits der heilen Touristenwelt«
Zu jenen, die seit Jahren mit interessierten Gästen Slums und Favelas besuchen, gehören der Studienreiseveranstalter Studiosus und »One World - Reisen mit Sinnen«. Beide sind überzeugt davon, dass Besuche in den Armenvierteln dazu beitragen, Vorurteile abzubauen - und zwar auf beiden Seiten.
Studiosusgäste können beispielsweise mit Asim Shaikh auf eine zweistündige Tour durch das Armenviertel Dharavi in Mumbai gehen, das mit mehr als einer Million Menschen einer der größten Slums in Indien ist. Asim Shaikh ist selbst dort aufgewachsen, und hat sich, wie er sagt, in ein »normales Leben gekämpft«. Für sein 2005 gegründetes Projekt »Reality Tours« wurde er 2014 vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. mit dem »best practice ToDo«-Preis für sozialverträglichen Tourismus ausgezeichnet. »Als wir mit den Touren begannen«, so erzählt er, »galt es, zunächst die Bewohner zu überzeugen, sich den Fremden zu öffnen und ihnen zu vermitteln, dass diese Besuche dazu beitragen können, im Slum etwas zu verändern. Wir sahen darin aber auch eine Möglichkeit, den Besuchern zu zeigen, dass sich die Slumbewohner nicht mit ihrem Schicksal, das sie nicht selbst verschuldet haben, abfinden. Und wir wollten mit Klischees aufräumen, zeigen, dass auch in Slums Menschen arbeiten, feiern, soziale Kontakte pflegen. Heute begegnen viele Bewohner den Fremden nicht mehr verschämt, sondern mit Stolz auf ihr eigenes, wenngleich armes Leben.« Manches hat sich in den vergangenen zehn Jahren geändert - in den Köpfen der Bewohner als auch der Besucher. 80 Prozent der Gewinne aus den Touristentouren, bislang rund neun Millionen Rupien, fließen in soziale Projekte, Schulen und Krankenhäuser im Armenviertel.
Ähnliches erzählt Thulani Madondo, Gründer und Leiter des Projekts »Kliptown Youth Program« in einem Township von Soweto, das Kindern und Jugendlichen zu einem ordentlichen Schulabschluss verhilft. Auch er ist im Slum aufgewachsen. »Niemand lebt gern in Armut«, sagt er, »doch es ist verdammt schwer, da rauszukommen. Ich bin stolz, dass ich es geschafft habe - durch Fleiß, Ehrgeiz und ein Tourismusprojekt.« Regelmäßig besuchen Studiosus-Gäste das Projekt. Nicht als schaulustige Voyeure, die hinterher zuhause Fotos von den »süßen, armen Kindern« präsentieren wollen, sondern um sich vor Ort davon zu überzeugen, dass es durch eine gute Bildung möglich ist, den Armutskreislauf zu durchbrechen. Dafür spenden sie gern, und viele, so Peter Strub von der Unternehmensleitung des Studienreiseveranstalters, »lassen uns im Nachhinein wissen, dass solche Begegnungen ihnen halfen, das Leben der Menschen anderswo besser zu verstehen und mit Vorurteilen aufzuräumen«.
Genau darum geht es auch bei den »alternativen Stadtspaziergängen« im Armutsviertel Ribeira Bote auf der kapverdischen Insel São Vicente, die der Dortmunder Reiseveranstalter One World - Reisen mit Sinnen seit drei Jahren seinen Gästen anbietet. Diese werden von Jugendlichen aus dem Armenviertel begleitet, wie der 24-jährigen Mirian Simone da Cruz Lopes, die stolz darauf ist, es aus eigener Kraft aus dem Elend geschafft zu haben. Sie besucht mit den Touristen Bewohner in deren Häusern und zeigt ihnen verschiedene Projekte, die mit den aus den Stadtspaziergängen eingenommenen Geldern finanziert werden.
So gut die Erfahrungen dieser und auch anderer Reiseveranstalter mit Slumbesuchen auch sind, gibt es doch viele Skeptiker und sogar Stimmen, die behaupten, dass solche Touren nichts anderes als ein Geschäft mit der Armut sind und die Würde der Slumbewohner verletzen. Dr. Malte Steinbrink vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück lobt zwar solche Beispiele, die für beide Seiten Vorteile bringen, kann aber moralische Bedenken der Skeptiker verstehen. Weil bei aller guten Absicht Townshipbesuche auch immer ein bisschen was von »social Bungee Jumping« hätten - man tauche kurz in das Elend ein und ist ganz schnell wieder raus. Und Antje Monshausen, Leiterin der Arbeitsstelle »Tourism Watch« bei der Hilfsorganisation Brot für die Welt, warnt vor ungeführtem Massentourismus in den Slums. Ohne ein richtiges Konzept geht so was nach hinten los und befriedigt nicht mehr als voyeristische Absichten jener Menschen, die ihre Vorurteile gegenüber anderen bestätigt sehen wollen. Es bringe auch nichts, wenn Tourguides mit ihren Gästen planlos durch einen Slum wandern. Man müsse sich schon vorher Gedanken darüber machen, was man den Besuchern zeigen will. Das können genauso kulturelle Besonderheiten des Viertels sein wie Beispiele des Zusammenhalts der Bewohner oder Projekte. »Die ökonomische Hilfe für die Menschen ist die eine Seite, genau so wichtig ist es, deren Würde nicht zu verletzen«, so Monshausen.
Das kann ganz schnell passieren, wenn man sich nicht an einige Regeln hält. Auf die Frage, was Touristen alles falsch machen können, hat Asim Shaikh eine ganz einfache Antwort: »Man sollte alles das lassen, was man selber als unsensibel und unmoralisch empfinden würde.« Wenn man jemanden fotografieren möchte, gebietet es die Achtung vor dem anderen, ihn vorher zu fragen und Ablehnungen zu respektieren. Es geht auch nicht, einfach in fremde Wohnungen zu gehen, das würde man ja bei sich auch nicht wollen.
Natürlich geht Peter Strub, dessen Unternehmensphilosophie die Begegnung von Menschen unterschiedlicher Kulturkreise beinhaltet, davon aus, dass Touristen, die mit Studiosus reisen, über einen gesunden Menschenverstand verfügen. Dennoch gibt der Veranstalter ihnen Tipps, z. B. mit der Broschüre »Blickfang«, die man sich kostenfrei schicken lassen oder von der Website laden kann, damit »das Fotografieren und Filmen auf beiden Seiten der Kamera zum Vergnügen wird«.
Noch ein Wort zum Vorwurf, Veranstalter würden mit Slum- und Favelatouren ein Geschäft mit der Armut machen. Seriöse Anbieter verbinden solche Touren zumeist mit Besuchen von Projekten, in die die Gelder der Touristen fließen und bieten Möglichkeiten, mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Und sie informieren darüber, welche Projekte sie unterstützen. Fragen Sie einfach mal nach, vielleicht ja schon beim Besuch der ITB an diesem Wochenende.
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