Linkspartei sieht Zerfall des Mitte-Links-Lagers
Streit nach der Wahlniederlage: Gysi kritisiert abweichende Position von Wagenknecht / Fraktionschefin: Wir haben »zu wenig Protest« gezeigt / Bartsch: »Prinzipiell« von der AfD abgrenzen
Bei der Linkspartei wird nach den Landtagswahlen über die Ursachen für die Niederlagen diskutiert – und damit auch über die Konsequenzen. Die unterschiedlichen Töne im Wahlkampf in der Frage der Asylpolitik rücken ins Zentrum: Ex-Linksfraktionschef Gregor Gysi sagte mit Blick auf Äußerungen seiner Nachfolgerin Sahra Wagenknecht, in der Flüchtlingsfrage müsse man eine klare und einheitliche Position haben. Der »Sächsischen Zeitung«sagte er mit Blick auf den Wahlkampf: »Und wenn dann herausragende Persönlichkeiten wie Katja Kipping und Sahra Wagenknecht unterschiedliche Positionen beziehen, dann wird es eben schwierig«.
Wagenknecht hatte unmittelbar vor den Landtagswahlen in einem Zeitungsinterview von »Kapazitätsgrenzen und Grenzen der Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung« gesprochen. »Es können nicht alle Flüchtlinge nach Deutschland kommen«, sagte sie. Dies war wie schon ähnliche Äußerungen zuvor auf breite innerparteiliche Kritik gestoßen. Parteichefin Kipping hatte sich am Tag nach der Wahl von Wagenknecht distanziert und davor gewarnt, sich als eine »AfD-light« zu geben. Die Partei lehne Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen klar ab, sagte sie.
Im Sozialen Netzwerk Facebook sagte Gysi, »die politische Linke im weitesten Sinne, selbstverständlich meine Partei eingeschlossen, muss nicht nur wieder ein geschlossenes humanistisches Bild abgeben, sondern endlich gemeinsam an einem Ziel arbeiten«. Diese bestehe darin, »die Union bundespolitisch in die Opposition zu schicken, weil sie nur dann in der Lage ist, die AfD überflüssig zu machen«.
Vorstand »einig«: Linkspartei bleibt Stimme für Weltoffenheit
Im Vorstand der Linkspartei spielte das Thema bereits am Wahlsonntag und am Montag eine Rolle. Es seien »sich alle darin« einige gewesen, dass die Linkspartei »weiter Haltung in der Flüchtlingsfrage zeigt«. Man bleibe die »Stimme für Weltoffenheit und Menschlichkeit«, werde aber in den nächsten Wochen darüber zu sprechen haben, »wie wir mit der Rechtsentwicklung weiter umgehen wollen, wie die Verteidigung der Demokratie organisiert werden soll«. Dies sei auch »angesichts des Zerfalls des Mitte-Links-Lagers« nötig. Zudem müsse überlegt werden, »wie die Prekarisierten und Abgehängten durch uns erreicht besser werden können«.
Wagenknecht sagte inzwischen, die Linkspartei habe in der aktuellen politischen Lage »zu wenig Protest« und »zu wenig Oppositionsprofil« gezeigt. Die Bundesregierung habe in Deutschland »Verunsicherung und Ängste« entstehen lassen. Verantwortlich dafür sei aber nicht allein die Flüchtlingspolitik, sondern auch die »immer größere soziale Kluft«. Immer mehr Menschen würden sich »abgehängt fühlen und auch wirklich abgehängt«. Diese Menschen wendeten sich von der Demokratie ab und wollten der Regierung mit ihrer AfD-Unterstützung signalisieren: »Das, was ihr macht, das wollen wir nicht«. Daraus müsse die Linke »Konsequenzen ziehen« und »deutlich nachschärfen«, so die Fraktionsvorsitzende.
Der frühere Linkenchef Oskar Lafontaine wurde mit den Worten wiedergegeben, die Protestwähler, die am Sonntag die Rechtsaußen-AfD gewählt hätten, dürften nicht alle als Rechtsradikale oder Rassisten abgestempelt werden. Es sei eine politische Herausforderung, wenn viele Menschen das Gefühl hätten, ihre Bedürfnisse würden dauerhaft nicht wahrgenommen. Lafontaine verwies gegenüber dem »Tagesspiegel« darauf, dass sinkende Löhne und Renten sowie die grassierende Ungleichheit und fehlende Sozialwohnungen sowie Probleme im Bildungsbereich schon länger zu einer Parteienverdrossenheit geführt hätten.
Riexinger: Wir weichen nicht von unserer Haltung ab
Der Ko-Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, mahnte indes im »Berliner Kurier«, seine Partei müsse sich »prinzipiell« von rechtspopulistischen Positionen der AfD abgrenzen. Aufgabe der Linken sei, »Adresse für den Protest« gegen die Politik von Schwarz-Rot zu sein. Mit Blick auf Differenzen in der Flüchtlingspolitik zwischen Wagenknecht und Parteichefin Kipping warnte Bartsch vor weiteren »schädigenden« Auseinandersetzungen in den Medien.
Auch der Linkenchef Bernd Riexinger warnte seine Partei, ihren Streit über die schlechten Ergebnisse bei den Landtagswahlen zu beenden. »Einseitige Schuldzuweisungen für die Wahlniederlage in Sachsen-Anhalt und die schwachen Ergebnisse in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind nicht hilfreich«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Riexinger bekräftigte, dass seine Partei Obergrenzen ablehne. »Wir weichen nicht von unserer Haltung ab: Menschen in Not muss geholfen werden«, sagte er. Die Linke hatte in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg den Einzug in die Landtage verpasst und in Sachsen-Anhalt deutlich Stimmen verloren.
Linksreformer sehen Lage der Linkspartei »bedrohlich«
Der Bundessprecher des Forums Demokratischer Sozialismus, Dominic Heilig, warnte vor einem innerparteilichen Schlagabtausch ohne Substanz. »Das, was gerade wieder beginnt abzulaufen, ist genau das, was wir als Partei nicht gebrauchen können«, so Heilig mit Blick auf gegenseitige Schuldzuweisungen. Es sei falsch, die Ergebnisse der Linken in Sachsen-Anhalt einseitig als »Wahlniederlage« zu bezeichnen, über das Abschneiden im Südwesten dagegen von »schwachen Ergebnissen« zu reden. Richtig sei es, über die Defizite der gesamten Partei zu diskutieren. »Nur so kann man nach Niederlagen auch wieder aufstehen.« Heilig nannte die Lage der Linkspartei »bedrohlich«, es komme nun auch darauf an, wie die Sozialisten damit umgehen würden. »Man kann es also immer noch schlimmer machen oder eben besser.« Heilig forderte »eine gründliche Analyse der Ergebnisse und eine Strategie, wie wir wieder in die richtige Spur und zu den Menschen zurückfinden«.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow forderte inzwischen gegenüber der »Mitteldeuutschen Zeitung«, die Linkspartei solle für eine Politik einzutreten, die Menschen die Angst vor Abstieg nimmt, um so die AfD zu bekämpfen. »Wir müssen den Menschen die Angst vor Abstieg und Armut nehmen, damit die Auseinandersetzung nicht eine Auseinandersetzung von Inländern und vermeintlichen Ausländern ist«, sagte er. »Dazu brauchen wir eine Sozialstaatsgarantie. Wir müssen massiv das Gefühl stärken, dass dieser Staat für diese Aufgaben stark genug ist.« Eine Sozialstaatsgarantie war von der Linkspartei bereits zuvor gefordert worden. Dazu sei auch Realpolitik nötig: Man müsse »etwas durchsetzen, wenn es Gelegenheit dazu gibt«. In Thüringen, so Ramelow, gelinge das.
Schon zuvor hatte der Europaabgeordnete Fabio De Masi von einer »schweren Niederlage« für die Linkspartei gesprochen, weil es ihr nicht gelungen sei, »soziale Frage und Flüchtlingskrise zu verknüpfen«. De Masi forderte eine Debatte über die künftige Strategie. Das Forum demokratischer Sozialismus hatte ebenfalls nach der Wahl von »noch mehr Aufgaben« gesprochen, die »wir als Partei schnell lösen müssen«. Dazu sei auch eine offene und ehrliche Debatte auf dem kommenden Bundesparteitag nötig. Es dürfe in der Linkspartei aber »kein Verrücken der Positionen zur Flüchtlings- und Integrationspolitik geben. Hier ist weiter eine klare Haltung gefragt«.
Bei der Sitzung des Linkenvorstand, die unter dem Eindruck der Wahlergebnisse für die AfD stand, wurden auch Leitanträge an das Delegiertentreffen beschlossen. In einem der Papiere heißt es, »erst recht, wenn die anderen Parteien nach rechts rücken, bleiben wir standhaft«. Man ziele auf soziale Politik und die Erneuerung der Demokratie. Willkommenskultur müsse »mit dem Kampf gegen Armut und den Ausbau des Öffentlichen« verbunden werden. Die Linkspartei bleibe verlässlich für alle, »die den Rechtsruck nicht mitmachen, die eine menschliche, weltoffene Gesellschaft wollen«. In dem Papier werden SPD und Grüne aufgefordert, sich der »gesellschaftlichen Gegenbewegung gegen Rassismus und den Rechtsruck« anzuschließen.
Der Berliner Ex-Pirat Oliver Höfinghoff, der inzwischen in der Linken-Strömung »Emanzipatorische Linke« engagiert ist, sagte, es mache aber keinen Sinn, »zu kritisieren, dass SPD und CDU sich zu ähnlich seien«, wenn »nicht explizit der Rechtsruck der SPD« angesprochen werde. mit Agenturen
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