Kanzlerin setzt völlig auf Ankara
Newsblog: Merkel lobt Umgang der Türkei mit Asylsuchenden / LINKE: Fluchtursachenbekämpfung nicht zur Phrase machen / SPD will »kriminelle Banden in der Ägäis« bekämpfen
Update 14.55 Uhr: Hasselfeldt lehnt EU-Beitritt der Türkei ab
Gerda Hasselfeldt gibt sich anschließend nachdenklich und differenziert. Sie ist die Landesgruppenchefin der CSU im Bundestag, und alle Abgeordneten wissen um die Spannungen zwischen ihrer Partei und der Kanzlerin. Sie spricht für die Opfer, also die Flüchtlinge, spricht für ihre Integration und lobt zweitens die Mitmenschlichkeit in Deutschland, also in Bayern, wo die meisten zuerst landen. »Enormes« werde unternommen für die Menschen mit einer Bleibeperspektive. Aber es gehe auch um die Begrenzung der Zahlen und zwar um eine deutliche und nachhaltige. Drittens spricht Hasselfeldt deshalb über sichere Herkunftsstaaten, auch die Maghreb-Staaten, die unbedingt dazugehörten. Schließlich kommt die Frau auf die Türkei. Verständnis auch hier. Aber dann: Wir haben in der Tat Bedenken bei der vollen Visafreiheit. Und eines dürfe nicht passieren, dass die Bedingungen, die an die Türkei gestellt werden müssten, lasch gehandhabt würden. Beitrittsverhandlungen könnten durchaus zur Modernisierung der Türkei führen, aber »wir sehen keine Möglichkeit für einen Vollbeitritt der Türkei« zur EU.
Update 14.38 Uhr: LINKE kritisiert Waffenlieferungen in den Nahen und Mittleren Osten
Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der LINKEN, kritisiert die Waffenlieferungen Deutschlands in die Krisenregionen des Nahen und Mittleren Osten. Die Lieferungen seien ein Verbrechen gegen die Menschen in der Region. Sie kritisiert Merkel persönlich für ihre Politik. »Europa hat Ihre Alleingänge satt«, sagt sie. Die Kanzlerin mache mit Präsident Erdogan den Bock zum Gärtner.
Update 14.35 Uhr: Högl plädiert für »faires Asylsystem«
Eva Högl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, sagt, dass die Bilder aus Idomeni jeden Tag zeigten, »wie grausam Grenzschließungen sind«. Zugleich: Auch die SPD wolle keine unbegrenzte Zuwanderung. Aber faire Asylverfahren müsse es weiterhin geben.
Visaerleichterungen mit der Türkei seien längst vereinbart, merkt Högl kritisch in Richtung des Koalitionspartners zur Rechten an, aus dessen Reihen in den letzten Tagen kritische Bemerkungen über die Vorstellungen der Türkei zu hören waren.
Update 14.20 Uhr: Kauder fordert vond er SPD mehr Unterstützung für Merkel
Der Fraktionschef der Union, Volker Kauder, fordert vom SPD-Koalitionspartner ein wenig mehr Beifall, als er von der notwendigen Unterstützung für die Bundeskanzlerin spricht.
Kauder spricht sich für klare Unterstützung Griechenlands aus. Dort gebe es Unterkünfte für Flüchtlinge, die sie aufsuchen könnten statt in Idomeni zu bleiben. Damit seien diese in einer anderen Lage als jene, die vor Monaten an der ungarischen Grenze aufgehalten worden seien. Viel Verständnis für die Türkei, viele allgemeine Bemerkungen über den Wert von Dialog und Wahrheit und Interessen anderer Länder folgen.
Es gehe nicht in erster Linie darum, jetzt neue Pakete zu schnüren. Die Koalition habe schon viel für soziale Belange getan. Dann schweift Kauder etwas ab, um die Botschaft zu verkünden, dass es eine starke Wirtschaft, Konjunktur brauche – »sonst können wir kein einziges soziales Problem mehr lösen«.
Update 14.10 Uhr: »Warum nehmen wir die Flüchtlinge nicht auf?«
Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen, lobt die Kanzlerin für ihre Haltung, die sie auch gegen teils »hysterische Kritik« aus den eigenen Reihen bewahrt habe. Dafür habe sie der Zustimmung der Grünen.
Allerdings verhalte sich Merkel anders, als noch im letzten Herbst, als die humanitäre Not sie veranlasst habe, die Grenzen zu öffnen. Jetzt sei die Lage der Flüchtlinge in Griechenland nicht besser. »Warum nehmen wir die Flüchtlinge nicht auf?« Den geplanten Deal mit der Türkei nennt Hofreiter einen »schmutzigen Deal«. An die Kanzlerin direkt wendet er sich mit den Worten: »Bleiben Sie doch ehrlich: Nur noch Syrer sollen nach Europa kommen. Das ist de facto nichts anderes als eine flexible Obergrenze.«
Vor zwei Jahren habe der deutsche Innenminister zu den Problemen des bei der Flüchtlingsaufnahme allein gelassenen Italien gesagt, es handele sich hier um ein nationales Problem. Deutschland habe sich damals unsolidarisch verhalten, wirft Hofreiter der Bundesregierung vor. Würde sich Merkel bei Italien dafür entschuldigen, könnte das Verständnis der EU-Partner für die Vorstellungen Deutschlands besser werden, vermutet Hofreiter unter dem Gelächter der Unionsfraktion. Scharf geht der Grüne mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière für dessen Bemerkung ins Gericht, die EU solle sich nicht als Schiedsrichter über die Türkei aufspielen. Dies nennt Hofreiter eine »Unverschämtheit« gegenüber den Menschen in den Kurdengebieten oder den Journalisten, die in türkischen Gefängnissen sitzen.
Update 13.55 Uhr: Oppermann plädiert für Kampf gegen Schleuser
Thomas Oppermann, Fraktionschef der SPD, hält ein Plädoyer für den Kampf gegen die Schlepper und die »kriminellen Banden in der Ägäis«. Er sei sicher, dass der anstehende EU-Gipfel auch die Kritik der UNO an dem Vorgehen gegen die Grenzschutzpolitik der EU konstruktiv aufnehmen werde. Oppermann wendet sich gegen Grenzschließungen. »Der Vize-Exportweltmeister tritt für Grenzschließungen ein – das wäre ein Treppenwitz der Geschichte.« Mit Grenzschließungen werde unser Wohlstand nicht zu halten sein.
Die Abgeordnete Heike Hänsel (LINKE) erhält das Wort zu einer Zwischenfrage und meint, der Wohlstand brauche mehr als eine nationale Politik, er brauche eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung – ob Oppermann nicht dafür eintreten wolle. Oppermann: Die LINKE habe bereits deutlich gemacht: Sie könne nicht glücklich sein, »so lange nicht alle anderen glücklich sind«. Natürlich müsse man Abhängigkeiten in der Weltwirtschaft abbauen. Und die Bundesregierung versuche das auch. Den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden, wäre eine geeignete Maßnahme dafür, meint Oppermann. Denn dann müsse das Land wieder aufgebaut werden.
Oppermann lobt ebenfalls die Türkei, die schon 2,5 Millionen Flüchtlinge beherberge. Aber dabei gebe es große Probleme – bei der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge und bei den Bildungsmöglichkeiten für die Kinder. Aber genau dafür werde das Geld der EU eingesetzt werden, zeigt sich Oppermann sicher. Zu Menschenrechtsverletzungen in der Türkei merkt er an: Diese seien einer Demokratie nicht würdig.
Update 13.45 Uhr: LINKEN-Fraktionschef Bartsch warnt, Fluchtursachenbekämpfung zur Phrase zu machen
LINKEN-Fraktionschef Dietmar Bartsch warnt davor, die Fluchtursachenbekämpfung zur Phrase zu machen. Fluchtursachen zu bekämpfen müsse heißen, Schluss zu machen mit Waffenlieferungen, mit der militärischen Logik im Umgang mit den Krisen und es müsse eine neue Wirtschaftsordnung zum Ziel haben. Bartsch lobt Norbert Blüm, der im Flüchtlingslager von Idomeni derzeit die Lage als katastrophal erlebt, der die EU scharf für ihren Umgang mit den Flüchtlingen kritisiert hat.
»Es geht Europa nicht gut, Frau Bundeskanzlerin.« Dies sei der Grund auch für das Misstrauen der Menschen gegenüber Flüchtlingen. Zu den Vorschlägen der Türkei sagt Bartsch: Erdogan diktiere Europa die Bedingungen, ein Mann, der Wissenschaftler entlasse, weil sie sich für einen Frieden in der Türkei einsetzten, der Frauen niederknüppeln lässt und Journalisten einsperren lässt.Bartsch nennt das Zugehen auf den türkischen Präsidenten Erdogan einen »scheinheiligen Deal. Sie lösen damit ein fundamentales Recht auf, das Recht auf ein Asylverfahren.«
Das Problem sei, »Europa folgt Ihnen nicht mehr«. Die Bundesregierung, Frau Merkel sei mitverantwortlich für die Krise in Europa. Warum werde die ungerechte Verteilung von Einkommen nicht einmal jetzt thematisiert – nach den Landtagswahlen vom letzten Sonntag. Die LINKE trete deshalb für ein Investitionspaket ein, um die sozialen Defizite im Land zu beheben.
Das übliche Parteiengeplänkel sei keine angemessene Reaktion auf die Fragen der Zeit, die am Wochenende bei den Landtagswahlen deutlich geworden seien. Die LINKE lässt am Ende der Debatte über einen entsprechenden Entschließungsantrag abstimmen.
Update 13.30 Uhr: Merkel lobt Umgang der Türkei mit Flüchtlingen
Angela Merkel lobt die Türkei mit deutlichen Worten. Was die Türkei für die Flüchtlinge getan habe, sei nicht hoch genug zu würdigen. Hingegen gereiche es der EU »nicht zu Ehre«, dass sie sich bisher so schwer getan habe, »die Lasten zu teilen«. Und was ist mit der Kritik an der Türkei wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen? Die Türkei, meint Merkel mit Blick auf das blutige Vorgehen im Südosten des Landes, müsse die Angemessenheit der Mittel bei ihrem Kampf gegen die PKK im Auge behalten.
Auf dem Europarat in Brüssel gehe es also darum, ob es gelingt eine Einigung zu erzielen, »mit der wir das erste Mal eine Chance auf eine gesamteuropäische, dauerhafte Lösung haben«, meint die Regierungschefin.Gemeinsames Handeln ist der einzige Weg, dass Europa langfristig erfolgreich bleibt. Und dafür, dass Europa stärker aus der Krise hervorgehe, als sie in diese hineingeraten sei.
Update 13.25 Uhr: Merkel hält Forderungen Ankaras für nachvollziehbar
In der EU-Türkei-Agenda vom 29. November habe der EU-Rat bereits die Visafreiheit für türkische Bürger in der EU bis spätestens Oktober beschlossen. Ankara wolle nun eine frühere Regelung bereits ab Juni. Auch den türkischen Wunsch nach mehr finanzieller Hilfe halte sie für völlig nachvollziehbar, meint die Kanzlerin.
Update 13.22 Uhr: Griechisch-türkisch Grenze »entschlossen« sichern
Merkel geht auf die Probleme Griechenlands ein, wo die Flüchtlinge sich sammeln, die auf der Balkanroute nicht mehr weiterkommen. Die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei sei die EU-Außengrenze, sie müsse »entschlossen« gesichert werden. Gegen Schlepper und Schleuser, wie Merkel unter dem Beifall der Regierungsfraktionen hinzufügt. Man brauche hierfür Zugang zu allen Teilen der türkischen Territorialgewässer. Merkel beginnt, den Nutzen der türkischen Vorschläge zu erläutern und diese als Lösung für die EU-Probleme zu loben. »Freiwillige Kontingente« der EU-Staaten sollen dafür sorgen, dass legale Wege für syrische Flüchtlinge nach Europa geschaffen werden.
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