Ritt nach Kenia auf der Turbo-Rakete
Sondierung in Sachsen-Anhalt: Tiefe Gräben zwischen CDU und Grünen - und eine SPD in Turbulenzen
Zur Begrüßung hatte die CDU Kakao gekocht. Schwarztee hätte auch gepasst. Er wird, neben Kaffee, auf vielen Plantagen Kenias angebaut. Über eine Koalition in den Farben der dortigen schwarz-rot-grünen Flagge redeten drei Herren und drei Damen am Mittwoch in Magdeburg: CDU, SPD und erstmals auch die Grünen loten aus, ob sie eine Regierung in Sachsen-Anhalt zustande bekommen.
Das für die Presse zur Schau gestellte Lächeln dürfte dabei bald angestrengten Mienen gewichen sein. Die Bildung einer solchen Koalition, der ersten ihrer Art in einem Bundesland, wird ein hartes Stück Arbeit. Dafür sorgen einerseits erhebliche inhaltliche Differenzen, daneben aber auch turbulente Verhältnisse in der auf zehn Prozent gestutzten SPD.
Während diese bereits zehn Jahre mit der CDU regiert hat, kommen die Grünen aus der Opposition - mit einem Wahlprogramm, das tiefe Gräben zur CDU offenbart. So lehnen die Grünen »jeglichen Ausbau der Elbe« ab; die CDU, deren an der Sondierung beteiligter Landeschef Thomas Webel zuletzt für das Verkehrsressort zuständig war, sieht den Fluss als wichtigen Verkehrsweg, ebenso wie die Saale, die er per Seitenkanal ertüchtigen möchte. Auch beim Bau der Autobahn A 14 in der Altmark zofft sich Webel seit Jahren mit Umweltschützern, die wiederum die Grünen als Verbündete ansehen. Deren Landeschefin Claudia Dalbert hatte noch im Wahlkampf erklärt, die Nordverlängerung der Autobahn lehne man ab. Generell klagen die Grünen, die bisherige Koalition aus CDU und SPD sehe »Natur- und Umweltschutz nur unter negativen Vorzeichen«.
Auch bei der Energiepolitik sind Konflikte zwischen den Grünen sowie CDU und SPD programmiert. Letztere sprechen von Braunkohle als »Brückentechnologie«, die auch Arbeitsplätze sichere; die Grünen wollen »schnellstmöglich« den Ausstieg; einen Tagebau Lützen und ein neues Kraftwerk in Profen lehnen sie ab.
Allerdings gibt es auch Themen, bei denen Grüne und SPD an einem Strang ziehen. So plädieren beide für längeres gemeinsames Lernen und für Gemeinschaftsschulen. Die SPD biss sich bei dem Thema 2011 an der CDU die Zähne aus, jetzt hat sie einen Alliierten. Das gleiche gilt für den Umgang mit Flüchtlingen. Weil Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sich für Obergrenzen aussprach, ließ die SPD fast die Koalition platzen. Die Grünen sagen, das Land könne mehr als 2,9 Prozent der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge aufnehmen: »Es ist in unserem Interesse, die Quote zu erhöhen.« Wie eine Koalition mit CDU und Grünen Abschiebungen handhabt, wird interessant.
Generell wird gespannt beobachtet, wie sich die Partei, die eigentlich auf ein rot-rot-grünes Bündnis eingestellt war und die Parole von einer »demokratisch-ökologischen Erneuerung« des Landes ausgegeben hat, in den Gesprächen verkauft. Ohne Risiko ist der Kurs nicht. Die Grünen ritten gerade »auf einer Turbo-Rakete«, sagt David Begrich vom Verein »Miteinander« in Magdeburg.
Die SPD hinkt derweil lädiert in die Gespräche. Seit dem Wahlabend gibt es heftige personelle Grabenkämpfe. Spitzenkandidatin Katrin Budde gab zwar dem Druck nach und Fraktions- wie Parteiführung ab. Ihr Vertrauter Andreas Steppuhn, einst Landeschef der IG Bau, wehrte aber den Versuch von Finanzstaatssekretär Jörg Felgner ab, die Fraktion zu führen - mit fünf Für- und vier Gegenstimmen bei zwei Enthaltungen. Die Sondierungen führt Steppuhn mit Katja Pähle, die nur kommissarisch Landeschefin ist. Eine FDP-Frau ätzt: »Fraktionsvorsitz ohne Mehrheit, Partei ohne Führung - das werden lustige Koalitionsverhandlungen.« Es gibt Stimmen in der Landes-SPD, die es nach dem Debakel ohnehin für falsch halten, einfach weiter mitzuregieren. Es gibt aber auch ein Problem. Scheren SPD oder Grüne aus, gäbe es nur noch eine Option ohne AfD im Land: ein Bündnis zwischen CDU und LINKEN. Ein Ritt auf einer Turbo-Rakete wäre im Vergleich eine leichte Übung.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.