Gebhardt: AfD stellt LINKE vor ein existenzielles Problem
Sachsens Landeschef: Partei muss auf Rechtstrend antworten / Sozialisten sollen sich wieder verstärkt um Arbeiter und Arbeitslose bemühen
Der gesellschaftliche Rechtstrend ist für die LINKE zu einem »existenziellen Problem« geworden. Zu dieser Feststellung kommt Rico Gebhardt, Chef des sächsischen Landesverbandes, nach den drei Landtagswahlen vom vergangenen Wochenende. Die Partei sei im März 2016 in einer »noch schwierigeren Situation« als 2002, als sie sich als Fraktion auf dem Bundestag verabschieden musste. Grund dafür sei ein dramatisch gesunkener Rückhalt bei den Wählern, dessen wesentlicher Grund die konsequente Haltung in der Flüchtlingskrise ist. Man müsse »zur Kenntnis nehmen, dass viele bewusst gegen unsere Position gestimmt haben«, sagte Gebhardt. Das Schlüsselthema, wie mit der Fluchtbewegung umzugehen ist, habe »unsere linke politische Welt aus den Angeln gehoben«.
Der sächsische Landeschef warnt seine Partei eindringlich vor Zugeständnissen etwa in der Frage einer Begrenzung der Zuwanderung: »Das wäre der Tod der LINKEN«, sagt er. Gleichwohl hält er es rückblickend für einen Fehler, dass die Partei in der Vergangenheit keinen eigenen Entwurf für ein, wie er es nennt, »Einwanderungs-Ermöglichungsgesetz« vorgelegt hat. Dies hätte viele der jetzt übereilt und unvorbereitet zu entscheidenden Fragen beantworten können.
Gebhardt hält es allerdings auch nicht für hinnehmbar, auf Teile der Wählerschaft quasi kampflos zu verzichten. »Wir wollen Volkspartei sein«, sagt er. Um aus der Defensive zu kommen, soll sich die LINKE verstärkt um einen früheren Kern ihrer Wählerschaft kümmern: Arbeiter und Arbeitslose. In einem Strategiepapier, das Gebhardt in Dresden vorlegte, ist vom »werktätigen Mensch« die Rede. Dies sei ein »Milieu, aus dem wir kommen, aber das wir aus den Augen verloren haben«, sagte er – obwohl das Selbstverständnis als »Partei der Arbeiter« so etwas wie »die eigentliche eigene Mitte« der LINKEN sei.
Allerdings artikuliere sich gerade in diesem Bevölkerungsteil »der Sozialprotest mittlerweile immer stärker mit rechten Vorzeichen«. Diese Herausforderung müsse man annehmen, gerade in Sachsen, wo die Entwicklung schon lange offenkundig ist und sich besonders dramatisch zeigt – sei es in den Aufmärschen von Pegida oder in Protesten gegen und Übergriffen auf Flüchtlinge und ihre Heime.
Zentraler Ansatzpunkt des Papiers ist es, »den Menschen ihre Ängste zu nehmen«, wie Gebhardt formuliert. Seiner Überzeugung nach speist sich ein Gutteil der Ressentiments aus der Furcht vor sozialem Abstieg. Diese müsse die LINKE adressieren. Der Wunsch nach einem Leben ohne Angst vor sozialem Absturz »ist uns politischer Befehl und bestimmt die Marksteine« unserer Politik, heißt es in dem Papier mit dem Titel »Aus der Mitte der LINKEN dem Rechtstrend die Stirn bieten«.
Vorgeschlagen werden dazu »vier Garanten grundsätzlicher Gleichheit in unserer Gesellschaft«: eine jeweils für alle geltende sanktionsfreie Mindestsicherung, Bürgerversicherung und solidarische Mindestrente sowie längeres gemeinsames Lernen. Durch derlei Forderungen solle deutlich werden, dass die LINKE »allen Menschen eine politische Heimat« biete, »die um ihren eigenen Wert wissen und gerade deshalb nicht auf Kosten anderer leben wollen«, heißt es in dem neunseitigen Papier.
Neben deutlicher artikulierten inhaltlichen Angeboten solle die LINKE auch den Stil ändern, in dem sie auf Bürgern zugeht: »Die fortschreitende Akademisierung unseres Politsprechs« sei »der breiten Meinungsbildung in unserem Sinne abträglich«. Gebhardt spricht von einer »Übersetzungsleistung« und fügt hinzu: »Vorrangig haben wir mit den Menschen zu sprechen, nicht über sie.«
Sachsens LINKE-Chef hält an der Überzeugung fest, dass die Zuwanderung vor allem für ländliche Regionen des Freistaats eine Chance ist. Dank der Flüchtlingsfamilien lasse sich »Strukturschwäche überwinden«, heißt es. Der starke Zuzug zwinge zudem zu einem Bürokratieabbau, mit dem etwa auch Menschen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen »von entwürdigenden Regeln befreit« werden. Im Zuge der Integration von Flüchtlingen ließen sich auf diese Weise »Krisen auflösen, die wir auch ohne sie schon hatten«, sagt Gebhardt, der seine Thesen nun in Partei, Fraktion und auch jenseits der LINKEN breit diskutieren möchte. Nötig sei, schreibt er, ein »praktisches Update von 'Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!'« Sein Vorschlag: »Prekarisierte jeder Herkunft, macht gemeinsame Sache!«
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