In den ostdeutschen Tropen

Lagunen, Tattoos, russische Aufpasser: Martin Leidenfrost erlebte die Südsee bei Groß Köris

  • Lesedauer: 4 Min.

Es war der slowakische Filmcutter Fero, der mir den Floh ins Ohr setzte, dass ich in der größten freitragenden Halle der Welt auf dem Strand der größten Tropenlandschaft Europas übernachten könnte. »Ich relaxe jedes Jahr in Tropical Islands«, sagte der vom Buddhismus angezogene Aussteiger. »Sie haben das Angebot zwar von der Homepage genommen, lassen einen aber noch im Sand schlafen.« Dann las ich, dass im Asylwerberheim derselben Gemeinde ein sächsischer Bauarbeiter 40 der 318 Flüchtlinge mit Pfefferspray angegriffen hatte. Nahost und Tropen in der stillen Mark Brandenburg - ich setzte mich in den Zug.

Am Bahnhof angekommen, fand ich den namensgebenden Ort Brand abgebrannt und das Flugfeld für sowjetische Jagdflieger eingemottet. Einsam im Wald lag das einstige Ausbildungsheim des Wachregiments »Feliks E. Dzierzynski«, zwischenzeitlich als Hotel für »Tropical Islands« genutzt, mit der Aufschrift »Spreewald Inn«. Seit kurzem wohnten Syrer, Afghanen, Albaner und Afrikaner drin. Die Schautafel bot Wohnungsbesichtigungen und einen Kunstkurs an. Weiterhin stand in fünf Sprachen geschrieben: »Wegen der dauernden Beschädigung der Waschmaschine haben wir einen Waschdienst eingerichtet.« Auf Englisch und auf Arabisch stand: »Seien Sie bitte geduldig bezüglich ihres Bescheides. Wir rufen Eisenhüttenstadt nun nur jeden Dienstag und Donnerstag an.«

Ich fuhr mit dem eigens eingerichteten Linienbus, der nun auch der lokalen Bevölkerung zugutekommt. Die jungen Asylbewerber schleppten Einkaufstüten, aus denen Massen von Eiern und Tabakwaren hervorlugten, Marlboro, Winston, West. Mancher junge Syrer musste eine Stunde an seiner Frisur herumgefönt haben. Der Penny-Markt in Groß Köris brummte. Eine burschikose Wirtsfrau aus der Nachbarschaft sah keine nennenswerten Spannungen, »natürlich gibt’s bei so vielen Bewohnern mal Kabbeleien«. Jener Sachse habe mit Flüchtlingen gesoffen und sei ausgerastet.

Ich checkte in den ostdeutschen Tropen ein. 360 Meter lang, 210 Meter breit, 107 Meter hoch. Die umgewidmete Luftschiffhalle erschien am Eingang als besseres Spaßbad. Zwischen 8000 Schließfächern, 200 Metern Sandstrand, Ferienhäuschen mit 197 Zimmern, »Bali-Lagune« mit Wasserfällen und einem Kilometer Regenwaldpfaden wurde aber auf Dauer ein Gewaltmarsch draus. Bei den Flamingos erklärte eine Mutter dem Töchterchen: »Kuck mal, Flamencos!«

Ich schwamm in der »Südsee« mit ihrem Sprachengewirr. An der blauen Himmelswand des Hallenrands knutschten Paare. Ein »Lifeguard« ermahnte einen Jungen mit gutturalem Akzent: »Was soll das mit dem Sand?« An der engsten Stelle des Schwimmkanals lief er oft mit einem weiteren »Lifeguard« russischer Muttersprache zusammen. Der gedrungene Neuling fragte den Erfahrenen auf Russisch, wie man den Kindern auf Deutsch erklärt: »Das ist schlecht.« Der Erfahrene übersetzte und schlug vor: »Ich kann dir Audioaufnahmen machen.« Später stürmte der Neuling in alle Saunen und rief kapomäßig: »Alles okay? Alles gut ist? Ja? Viel Spaß noch!«

Gegen Abend blieben nur noch körperverliebte, blonde Kleinkinder bespaßende Hedonisten. Nirgendwo hatte ich so viele aufwändige Tattoos wie an diesen ostdeutschen Frauen gesehen; Strumpfband mit reingestecktem Revolver. Mit den Nachbauten hinduistischer und buddhistischer Sakralkunst, mit den die Kunsttropen offenbar als Heimat annehmenden Südostasiaten und mit der Körperkunst von Orchideen und Monsterköpfen bei Dämmerlicht sank ich in die Suggestion eines heidnischen Tempels der Lüste ein. Ich lauschte zu einigen der 133 im Sand stehenden Stoffzelte hin. Ich erwartete Geknalle. Das dann doch nicht.

Rechtschaffen müde, schlief ich im Sand der Südsee ein. Die angekündigten Korrosionsarbeiten an der Decke blieben zum Glück aus. Die Luft war warm, der restfeuchte Sand wurde mir aber doch zu kühl. Um halb drei weckte mich das Kehren der Putzkolonne. Ich gewahrte eine Frau in figurbetontem Sommerkleid, die am Wasser einen eitel posierenden Mann fotografierte. Bei Nacht sah es mehr nach Tropen aus. Ich merkte, dass ich als einziger im Strand schlief, auf 7 der 850 Liegestühle dahinter lag eine polnische Großfamilie. Dort setzte ich meine Nachtruhe fort. Als am Morgen die Tagesgäste kamen, war ich ausgeruht. In die wahren Tropen muss ich nun nicht mehr fliegen. Auf einem echten Meeresstrand will ich aber schon mal schlafen.

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