Ey, Moment, Moment, Moment

Kabelbinder, Maschinengewehr und knackig durchgeladene Pistolen: Ein Sonntagskrimi, der mit seinem krassen Thema rumfuchtelt

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Besondere am »Tatort« ist seine Geschichte. Die hängt zwar meistens im Schrank wie die Amtskette einer Bürgermeisterin oder Richters Robe; Sonntag für Sonntag betrachtet, ist der »Tatort« nämlich auch nur ein Fernsehfilm. Aber manchmal, etwa im Herbst dieses Jahres zur 1000. Folge, wird die Geschichte rausgeholt, abgeklopft und stolz umgehängt, dann werden die großen Erfolge und kleinen Schlappen erzählt.

Geschichte meint einen offenen, sich ständig um gebrauchte Gegenwart erweiternden Zusammenhang, der zum Zeitmaß wird, weil er Dinge erinnerbar macht. Es gibt erste Male: die erste Kommissarin, Schimanskis erstes Mal »Scheiße«, die Ersterwähnung eines zeitgemäßen Gleichstellungsdiskurses wie vor zwei Wochen in Dresden.

Und es gibt Entwicklungen, etwa: beim Gebrauch von Waffen, der Verwendung einer Taser genannten Elektroschockpistole, die in den USA zur Grundausstattung jedes Streifenpolizisten gehört und die in »Zorn Gottes« (NDR-Redaktion: Donald Kraemer) von einem Schleuser-Halbbrüderpaar namens Kovac eher schlecht als recht eingesetzt wird, wenn auch nicht zum ersten Mal im »Tatort«.

Für Freunde der Sicherheitstechnik ist die Hamburg-und-Umgebung-Folge (hier: Hannover) mit Wotan Wilke Möhring als Falke und neuer Partnerin, Franziska Weisz als Julia Grosz, allerdings eine Schau, um nicht zu sagen Messe: Kabelbinder, Maschinengewehr und knackig durchgeladene Pistolen auf beiden Seiten des Gesetzes - wenn man da an die Zeiten von Gustl Bayrhammers Kommissar Veigl zurückdenkt, sieht man, was sich verändert im Film. Für die Geschichte, die »Zorn Gottes« erzählen will, ist das aber noch zu wenig.

Denn es geht um einen Anschlag von islamistischen Terroristen. Auch nicht das erste Mal im »Tatort«, 2011 versuchte etwa der NDR-Undercoverermittler Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) ein Attentat zu verhindern. Aber doch immerhin so delikat, dass man sich fragt, wie mit solchen Szenarien umzugehen ist; man hört ja immer wieder von Menschen, die die Fiktionen auf den Bildschirmen mit der Wirklichkeit verwechseln. Der Fernsehfilm, zumal der am Sonntagabend, hat seine Grenzen, insofern er die Millionen vor dem Gerät doch beruhigen und nicht aufregen soll zum Wochenende. Eine Münchner »Polizeiruf«-Folge, die ebenfalls 2011 eine Bombe hochgehen ließ, wurde ins Spätprogramm verbannt.

Ob das schon erklärt, warum sich die Terroristen so unterroristisch anstellen? Die harte Radikalisierung, die in der Wirklichkeit aus jungen Männern Menschen macht, die auf dem Weg in den eigenen Tod wahllos Leute umbringen, scheint sich in »Zorn Gottes« noch in einem unentschiedeneren Stadium zu befinden: Der junge Schleuser-Kocav (Christoph Letkowski) erkennt Enis Günday (Cem-Ali Gültekin) einen Bekannten von einst wieder, mit dem in der Intimität des Gekidnapptseins Eroberungen von einst diskutiert werden.

Ob dieser Move ins Sentimentale den Anführer der Terrorzelle so wankelmütig hat werden lassen, dass Ersthelfer Falke ihn am Ende am liebsten gerettet hätte, oder ob dafür die doch starke familiäre Bindung zu Vater und Schwester zuständig ist, man weiß es nicht. Im Grunde wirft »Zorn Gottes« (Drehbuch: Florian Oeller, Regie: Özgür Yildirim) wieder einmal philosophische Fragen auf: Sollen die Verbrecher absichtlich so unfähig sein in dem, wozu sie doch entschlossen sein wollen, oder hat es der Film nur nicht besser hingekriegt mit seinen Figuren?

Der Chance, etwas über die Innenwelt von Zu-allem-Entschlossenen zu erfahren, begibt sich »Zorn Gottes«. Psychologie ist nicht das Interessengebiet der Folge und das Milieu auch nicht: Wenn es um seine Motive geht, klingt der Terrorist wie ein Zeitungsartikel.

Dabei deutet dieser »Tatort« Potenzial durchaus an: Wenn die Zuschauerin mit der Entführung von Günday Täterwissen hat, das die Kommissare erst ermitteln müssen in den toten Winkeln der Überwachungskameras; wenn diese Ermittlung auf die Wege der Schleuser am Flughafen stößt. Aber statt daraus Spannung abzuleiten, statt zu plausibilisieren, wie die Geheimlogistik am Flughafen aussehen könnte, fuchtelt der Film mit seinem krassen Thema rum.

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Können sie noch was anderes als «nein» sagen?«

Ein Bewusstsein, mit dem man in Gehaltsverhandlungen gehen sollte:
»Es gibt keinen Gott außer Allah.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Die Tatort Kolumne