»Krieg und Frieden«

Staatskapelle Weimar

  • Dietrich Bretz
  • Lesedauer: 2 Min.

Indes aus Thüringens Kulturhauptstadt so manche betrübliche Nachricht bezüglich abstruser Theater- und Orchesterfusionen verlautete, vermochte jetzt ein herausragendes Konzert der Weimarischen Staatskapelle um so mehr vom künstlerischen Potenzial des Landes zu künden. Und dass der namhafte Dirigent Hartmut Haenchen für die von ihm konzipierte, quer durch Europa und Japan führende Konzertreihe »Krieg und Frieden« auch die Klassikerstadt als Station auswählte, bezeugt seine Wertschätzung des Weimarer Orchesters. Und es spricht für Haenchens musikdramaturgisches Denken, Tonschöpfungen ausgewählt zu haben, die Unrecht, Gewalt und Leid in künstlerisch vielfältiger Weise reflektieren.

Einen wesentlichen Programmschwerpunkt in Haenchens Konzertfolge bildet Dmitri Schostakowitschs 8. Sinfonie, die 17 Mal die Vortragsfolgen dominiert. Wobei sie meistens mit Ludwig van Beethovens Fünfter konfrontiert wird. Auch in Weimar hatte Haenchen Schostakowitschs Achter die 5. Sinfonie von Beethoven vorangestellt. Faszinierend, wie er da mit der bestens aufgelegten Staatskapelle sogleich im Kopfsatz ein konfliktgeladenes, von dramatischer Geballtheit bestimmtes Ringen entfaltete.

Einen Klangkosmos ganz anderer Art eröffnete dann Schostakowitschs Achte. Dass diese Sinfonie ein interpretatorischer Prüfstein für jedes Orchester ist, nahm die Staatskapelle gleichsam als Herausforderung an. Dunkel ist die Tonsprache des fünfsätzigen Opus, das der russische Musikologe Boris Asafjew treffend als »erhabenes tragisches Epos über die von der Menschheit durchlebte furchtbare Zeit« charakterisierte. Wie die vorausgegangene »Leningrader«, ist auch die 8. Sinfonie - inspiriert vom Kampf um Stalingrad - Anklage von Unmenschlichkeit und zugleich Einklage von Humanität. Wobei das grenzenlose Leid der von der Geißel des Krieges auch psychisch verletzten Menschen am intensivsten im weiträumigen Kopfsatz sich Gehör verschafft.

Sogleich wurde man von dem strengen, unheilvollen Aufruf in den tiefen Streichern gefangen genommen, mit dem dann zwei leidvolle Themen korrespondierten. Bis dann auf dem Höhepunkt des Satzes das abgründige Motiv vom Blech und Schlagwerk in verzerrter Gestalt zu einem Inferno gesteigert wurde. Gram, Schmerz, ja Aufschreien der gequälten Kreatur erhielten hier - von den Musikern konturenscharf artikuliert - ihre adäquate Stimme. Geradezu überwältigend, mit welcher Gespanntheit sie in der bizarren Karikatur eines Marsches im zweiten Satz sowie in der automatenhaften Toccata des Mittelsatzes Sinnbilder einer gnadenlosen Vernichtungsmaschinerie schufen. Kaum ein stärkerer Kontrast dazu war möglich als das unmittelbar anschließende eindringlich ausgeformte, leidvolle Largo.

Und analog zur Dramaturgie der altgriechischen Tragödie erlebte man im vielgesichtigen Finale schließlich eine kathartische Lösung der Konflikte. Völlig verinnerlicht, gleichsam ein Fragezeichen setzend, ließen Haenchen und die Weimarer das Werk im Pianissimo verlöschen.

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