Zerreißprobe in Flüchtlingsheimen
In Notunterkünften leben auch Menschen mit Bleiberecht - weil sie keine Wohnung finden
Noch sechs Wochen, dann schließt die Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Supermarkt in Köpenick. Das Gebäude ist schon seit langem als Fanhaus des 1. FC Union vorgesehen. Von Anfang an war die Notunterkunft als Zwischenlösung gedacht. Wohin die Bewohner im Mai gehen werden, ist bisher noch ungewiss. Für eine Familie könnte der Auszug die Trennung bedeuten: Zwei Mitglieder haben eine Anerkennung als Flüchtlinge erhalten und könnten eine Wohnung mieten, so sie eine finden. Die anderen müssen in eine Gemeinschaftsunterkunft umziehen.
Knapp 43.500 Menschen leben derzeit in Flüchtlingsunterkünften in Berlin. 3000 von ihnen wurde nach Angaben der Senatsverwaltung für Soziales der Asylantrag bereits bewilligt. Das sind rund sieben Prozent. Sie sind sogenannte »Statuswechsler«, für deren Unterhalt nicht mehr das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) zuständig ist, sondern das Jobcenter. Für die Betreiber der Unterkünfte ist das ein Problem. Sie beklagen unklare Verantwortlichkeiten, hohe Unterbringungskosten und die offene Frage, wer die Essensversorgung der Statuswechsler letzten Endes bezahlt.
Derzeit verhandeln die Betreiber mit der Sozialverwaltung und dem LAGeSo über eine Lösung. Erste Ansätze sollen auf einem Treffen in der kommenden Woche besprochen werden. Doch das nächste Problem steht schon vor der Tür: Bis Mai will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sein Personal stark aufstocken, um dann die täglichen Asylentscheidungen zu verfünffachen. Wie viele Entscheidungen positiv ausfallen und wie viele zu einer Abschiebung führen, ist kaum vorauszusehen. Aber die Zahl der Statuswechsler könnte nochmals steigen.
»Es ist ein Chaos«, sagt Peter Hermanns zum Verbleib der anerkannten Flüchtlinge in den Heimen. Er leitet die Notunterkunft des Internationalen Bundes im künftigen Union-Fanhaus. 120 Menschen finden hier Platz. Fünf von ihnen sind sogenannte Statuswechsler. »Ihr Asylantrag wurde innerhalb von wenigen Tagen bewilligt«, sagt Hermanns. So schnell geht es selten. Derzeit liegt der Durchschnitt bei fünf Monaten, manche Asylbewerber warten zwei Jahre. Je schneller sie anerkannt werden, desto besser für die Flüchtlinge: Sie haben mehr Sicherheit über ihre Situation, bekommen ihr eigenes Geld, dürfen arbeiten. »Theoretisch können sie sich jetzt eine eigene Wohnung suchen.« Hermanns lacht - nicht aus Freude, sondern eher etwas verzweifelt. Die Wohnungsnot in Berlin ist bekannt, die hohen Mietpreise ebenso. Und die neu in Berlin gelandeten Flüchtlinge kennen sich nicht aus. »Sie müssen sich erst einmal orientieren und sprechen die Sprache nicht.« Ohne Deutschkenntnisse ist es noch schwerer, eine Wohnung zu finden. Untersuchungen zeigen darüber hinaus, dass Bewerber mit Migrationshintergrund von Vermietern häufig aussortiert werden.
So bleiben die Statuswechsler erst einmal im künftigen Union-Fanhaus. Dort gibt es aber wie in den meisten Notunterkünften keine Kochmöglichkeit. Obwohl im Geld vom Jobcenter also Verpflegungsgeld enthalten ist, können sie sich keine warmen Mahlzeiten zubereiten, für regelmäßigen Restaurantbesuch reicht das Geld nicht. So werden sie weiter mit Essen in der Notunterkunft versorgt. »Theoretisch können wir uns das Geld von den Leuten zurückholen«, sagt Hermanns. In der Praxis geht das nicht so einfach - auch, weil der vom Jobcenter eingeplante Tagessatz für Verpflegung nicht unbedingt der Höhe der Kosten für das Catering entspricht.
Die Miete zahlt das Jobcenter direkt an den Internationalen Bund. Das zumindest läuft besser als die Abrechnung mit dem LAGeSo. Schwierig wird es, wenn die Bewohner einer Arbeit nachgehen. Dann müssen sie für die Miete selbst aufkommen. Hermanns rechnet vor: Für 15 Euro Tagessatz bekommen die Bewohner ein Bett im 15 Quadratmeter großen Doppelzimmer. Pro Monat zahlen sie also im 450 Euro für 7,5 Quadratmeter. Mit einer eigenen Wohnung oder einem WG-Zimmer wären sie wesentlich günstiger dran.
Wie viele Statuswechsler in den Unterkünften leben, schwankt stark. Der AWO-Kreisverband Mitte zählt bei sich fünf Prozent der Bewohner. Auf dem letzten Betreibertreffen, zu dem die Caritas eingeladen hatte, sprachen einige Teilnehmer laut Caritas-Direktorin Ulrike Kostka von 25 Prozent. Dafür müsse schnell eine Lösung her, die einheitlich für alle zwölf Jobcenter gelte. »Die Geduld der Betreiber ist zum Zerreißen gespannt«, sagt Kostka. »Wir haben in einer Notlage geholfen, aber wir hoffen sehr, dass das jetzt ein Ende hat.«
Unklar ist auch, wer zuständiger Ansprechpartner für die Betreiber ist. Derzeit sind an den Abstimmungen das LAGeSo, die Sozialverwaltung, die Bundesagentur für Arbeit, die Bezirksämter und das BAMF beteiligt. Den geldgebenden Jobcentern steht allerdings die Senatsverwaltung für Arbeit und Integration vor. Die leitet Anfragen zum Thema jedoch an die Sozialverwaltung weiter. »So sehr sich alle bemühen, Strukturen in das Chaos zu bringen - es hakt immer noch an so vielen Ecken und Enden«, sagt Hermanns. Er hofft, dass das Betreibertreffen in der kommenden Woche mehr Klarheit bringt.
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