Wien schleift Asylrecht

Vorstoß der schwarz-roten Koalition: Schnellverfahren an der Grenze

  • Manfred Maurer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war die erwartete juristische Ohrfeige: Die im Januar von der rot-schwarzen Regierung beschlossenen Obergrenzen von maximal 37 500 Asylbewerbern in diesem Jahr und insgesamt 127 500 bis zum Jahr 2019 lassen sich nicht in Gesetzesform gießen. Das haben zwei von der Regierung bestellte Rechtsgutachter befunden. »Eine Obergrenze, die darin besteht, dass eine absolute Zahl festgelegt wird, ab deren Erreichen kein einziger Antrag mehr geprüft wird, ist mit völkerrechtlichen Vorgaben und unionsrechtlichen Vorgaben nicht kompatibel«, so der Europarechtler Walter Obwexer, einer der Gutachter. Das hindert die Bundesregierung freilich nicht am Beharren auf ihrer politischen Festlegung auf diese Obergrenzen. Diese sollen nun mit umso restriktiveren Maßnahmen durchgesetzt werden.

14 000 Asylanträge hat das Innenministerium in Wien in diesem Jahr schon registriert. Bei gleichbleibendem Trend würde irgendwann im Sommer die Obergrenze geknackt sein und die Bundesregierung vor der heiklen Frage stehen, ob nun der 37 501. Asylantrag tatsächlich nicht mehr angenommen werden soll. Würde sie diesen oder diese Asylwerberin abweisen, bedeutete dies einen Verstoß gegen internationales Recht. Deshalb soll es gar nicht erst soweit kommen - und schon ab Mai härter durchgegriffen werden. Noch im April soll nämlich das Asylrecht einmal mehr verschärft werden, sind sich die in Sachen Migrationsfragen lange zerstritten gewesenen Koalitionspartner SPÖ und ÖVP mittlerweile völlig einig.

Künftig fällt gleich an der Grenze in »Registrierzentren« wie jenem in Spielfeld die Entscheidung, ob Asylwerber überhaupt ein vollwertiges Verfahren bekommen. Demnach sollen Asylanträge nur noch zugelassen werden, wenn präzise beschriebene Kriterien wie der Artikel 8 der Menschenrechtskonvention auf den jeweilig zur Behandlung stehenden Fall zutreffen. Die entsprechende Feststellung soll binnen »einer halben bis einer Stunde« fallen, sagte der sozialdemokratische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, der die Pläne mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) vorstellte.

Dass dieses Blitzverfahren nichts mit einem ordentlichen Asylverfahren zu tun haben kann, ist allen klar. Ein solches braucht es aber nach Ansicht der Bundesregierung gar nicht. Denn die beiden Gutachter haben ihr einen Lösungsvorschlag für das Problem beschert: Österreich könnte sich auf die Notstandsklausel im Artikel 27 des EU-Vertrages berufen. SPÖ und ÖVP gehen davon aus, dass durch die Flüchtlingsbewegung die »öffentliche Ordnung und innere Sicherheit« gefährdet ist. Daher könne die Zulassung zum Asylverfahren stark beschränkt werden. In der Regel könnten Schutzsuchende so in die sicheren Nachbarstaaten, aus denen sie kommen, zurückgeschickt werden. Ob die Notstandsklausel im EU-Vertrag tatsächlich anwendbar ist, konnten die Gutachter aber nicht garantieren.

Auf jeden Fall wird Deutschland von der österreichischen Härte profitieren. Die Grenzkontrollen sollen nämlich weiter verschärft werden, etwa am Brenner zwischen der Alpenrepublik und Italien. »Und dort, wo wir Grenzkontrollen machen, wird es auch kein Durchwinken mehr geben«, plant Verteidigungsminister Doskozil ein Ende der Praxis, durchreisewillige Geflüchtete nach Deutschland weiterzureichen.

Die entsprechenden Beschlüsse werden im Wiener Parlament wohl noch vor dem 24. April fallen. Denn an diesem Tag droht den Kandidaten der Regierungsparteien bei der Präsidentenwahl - Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP) - ein Debakel. Nach derzeitigem Stand der Umfragen dürften sie nicht einmal den Einzug in die Stichwahl schaffen. In Führung ist vielmehr der frühere Grünen-Chef Alexander van der Bellen vor dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer. Auf Platz drei liegt die unabhängige Kandidatin Irmgard Griss - und erst dann folgen die Regierungskandidaten. Mit der verschärften Asylpolitik hat die Bundesregierung auch deren Schicksal im Auge.

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