Der Schutt der Gesellschaft
Die umfassende Werkschau »Homo Americanus« des Punk-Künstlers Raymond Pettibon in Hamburg
Ohne Punk kein Künstler Raymond Pettibon. Die Gesten der Abgrenzung, die der Punk-Szene von Beginn an innewohnten, haben den Zeichner, dem noch bis September die umfassende Werkschau »Homo Americanus« in den Hamburger Deichtorhallen gewidmet ist, von Beginn an begleitet. »Keine lasche Science-Fiction, keine Kunst als Therapie für Anhänger von de Sade und Sacher-Masoch, keine Superhelden für deinen kleinen Bruder«, erklärte er 1978 anlässlich seiner ersten Publikation »Captive Chains«. Das Werk war ein kleiner, billig hergestellter und für knapp über einen Dollar verkaufter Schwarz-Weiß-Comic über die Abgründe der Gesellschaft, über Gewalt und kaputte Psychen.
Einen Comic zu zeichnen, statt sich in die damals angesagte großformatige Malerei einzureihen, war ebenfalls eine Punk-Geste gegen die Kunsthochschule in Los Angeles, wo der 1957 geborene Pettibon damals studierte - als einziger Punk in der Klasse, wie er im Katalog zur Ausstellung hervorhebt. Während er sich der Idee von Kunst verweigerte, macht »Captive Chains« - dessen 68 Seiten die Hamburger Schau komplett im Original zeigt - deutlich, dass Pettibon sich auch im Medium Comic schnell eingeengt fühlte und das klassische Erzählen im Laufe der Story zugunsten einer eher assoziativen Struktur aufgab. Im Anhang des Heftes präsentierte er darüber hinaus ganzseitige Tuschezeichnungen, von denen einige ihn später zu einem Star der jungen Punkszene der amerikanischen Westküste machen sollten. Sie finden sich auf den Covern der ersten Veröffentlichungen der damals noch jungen Band Black Flag.
Neben unzähligen Flyern, Plakaten und Albencovern, denen die Ausstellung zu Recht viel Raum gibt, hat Pettibon der Band seines Halbbruders Greg Ginn auch das berühmte Logo der vier schwarzen Balken entworfen. Im Gegenzug vertrieb Ginn die ersten Fanzines Pettibons über sein Label SST Records. Man tauschte sich aus, half sich untereinander im Geiste der damaligen Do-it-yourself-Kultur, deren Nische umso dringlicher erschien, je konservativer sich die US-amerikanische Politik unter Ronald Reagan entwickelte.
Die Punk-Szene der USA war eine politische Szene, die mit oft plakativen Mitteln die Politik ihrer Regierung kommentierte und verbal anging. Nicht so jedoch Raymond Pettibon in seinen Arbeiten dieser Jahre. Zwar sind auch sie politisch, doch ihr Spott zeigt sich subtiler und komplexer. Von seiner Arbeit im Comic hat Pettibon die Kombination von Text und Bild übernommen, ein Stilmerkmal, das sich durch sein gesamtes Werk zieht: In der die Besucher auf vier Etagen erschlagenden Ausstellung findet sich nicht eine Zeichnung, auf der nicht Text und Bild miteinander in ein Wechselverhältnis treten. Die Texte kommentieren und kontextualisieren die sonst oft kryptischen Zeichnungen und erlangen ebenfalls nur im Zusammenspiel mit den Bildern eine Bedeutung.
»I have a Negro boyfriend«, wirft eine wütende junge Frau ihrem Vater an den Kopf, der sie am Arm gepackt hält. »Does she really, or is she just crying out for her father›s firm hand?«, kommentiert eine Stimme aus dem Off. Rassismus, Gewalt, Autoritäten, Männlichkeit - all dies wird von Pettibon seziert und dekonstruiert, manchmal auch ganz materiell, wenn er zentrale Werke der Kunstgeschichte »entmannt« und die ausgestellte Männlichkeit mit abgetrenntem Phallus zeichnet.
Pettibon verwendet als Künstler den Schutt der Gesellschaft, vorgefundene Bilder und Sätze, die nicht auf ihn als Künstler zurückverweisen, sondern als postmoderne Collagen die Gesellschaft in sich aufnehmen und abbilden, mit all ihren Abgründen und in all ihrer Komplexität. Persönliche Erfahrungen sind ebenso Teil des ausufernden Werkes wie amerikanische Mythen und Klischees. Es finden sich Surfer neben Superhelden, schnauzbärtige Cops neben kaputten Hippies, Charles Manson ist ein ebenso wiederkehrendes Motiv wie der Kommunistenjäger J. Edgar Hoover oder in den letzten Jahren George Bush Jr.
Die Beiläufigkeit des Vorgefundenen, das Zusammenprallen aller Facetten und Widersprüche der US-amerikanischen Realität vom Rassismus über Polizeigewalt, christlichen Fundamentalismus, Bibelwahn, Pornografie und Prüderie, Gewalt und Kriegseifer, Hippie-Pazifismus und Waffenkult, spiegelt sich auch in der Flüchtigkeit der Tuschezeichnungen wider, denen es gelingt, trotz aller handwerklichen Perfektion, niemals in künstlerische Virtuosität zu kippen. Form und Inhalt verbinden sich zu einer perfekten Symbiose des Flüchtigen und Vergänglichen.
Leider hat Pettibon irgendwann begonnen, sich auch in der von ihm einst abgelehnten großformatigen Malerei zu versuchen und auch inhaltlich nach neuen Wegen der politischen Artikulation gesucht. Doch gerade im Kontrast zu seinen mit subtilem Witz die Gesellschaft kommentierenden, hauptsächlich in Schwarz-Weiß gehaltenen Arbeiten der achtziger und neunziger Jahre wirken die bunten Bilder seiner letzten Schaffensphase seltsam platt und uninspiriert. George Bush Jr. mit Blut an den Händen, amerikanische Soldaten, die Blutspuren hinter sich herziehen, oder Bomben werfende Militärflugzeuge sind nicht gerade originell, und lassen die Subtilität seiner früheren Arbeiten vermissen, das feine Gespür dafür, den Betrachter in den Prozess der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft einzubeziehen. Auch im Ausstellungskatalog enthaltene Erläuterungen des Künstlers wie jene, was die Amerikaner mit ihrem »Krieg gegen den Terror« veranstalteten, sei schlimmer »als das, was die Nazis gemacht haben«, lassen die Reflektiertheit seines Frühwerks vermissen.
Während die Tuschezeichnungen in ihrer Sperrigkeit durch die Textbeigaben den Betrachter immer wieder auf sich selbst zurückwerfen, gesellschaftliche Strukturen offenlegen und die eigene Gefangenheit darin thematisieren, macht es sich diese Form politischer Kunst etwas zu leicht. Bei aller berechtigten Kritik an Militarismus ist diesen Bildern jegliche Selbstironie abhanden gekommen, die Lust daran, Zusammenhänge subtil anzudeuten, die Betrachter bis dicht an die Abgründe der Gesellschaft heranzuführen und notfalls auch hineinzustoßen.
Raymond Pettibon: Homo Americanus, Deichtorhallen - Sammlung Falckenberg, Hamburg, bis 11. September. Der Katalog zur Ausstellung erscheint bei David Zwirner Books zum Preis von 48 Euro.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!