Atempause für drei Jahre

Im Grenzdurchgangslager Friedland landeten die ersten Flüchtlinge aus der Türkei

  • Reimar Paul, Friedland
  • Lesedauer: 3 Min.
Welchem Vorzug sie die Erlaubnis verdanken, gegenüber den Flüchtlingen, die aus Griechenland abgeschoben werden - sie wissen es wohl selbst nicht. Am Montag landeten die ersten Flüchtlinge in Friedland.

Der Bus aus Hannover hat etwas Verspätung. Erst kurz vor zwölf, fast eine Stunde später als angekündigt, erreicht das Fahrzeug mit 16 syrischen Kriegsflüchtlingen an Bord das Grenzdurchgangslager Friedland. So heißt die Barackensiedlung am Ortsrand des kleinen Dörfchens bei Göttingen immer noch. Vor 70 Jahren an der Grenze von drei Besatzungszonen als Auffanglager für Heimatlose und entlassene Kriegsgefangene gegründet, haben bis heute fast 4,5 Millionen Menschen das von westdeutschen Politikern zu Propagandazwecken gern so genannte «Tor zur Freiheit» durchschritten. Seit einigen Jahren ist Friedland auch eine Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Niedersachsen für Asylsuchende.

Um Asyl nachsuchen müssen die sieben Erwachsenen und neun Kinder, die am Mittag aus dem Bus steigen, aber nicht. Als sogenannte Resettlement-Flüchtlinge erhalten sie ohne Asylverfahren ein zunächst auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsrecht. Dasselbe gilt für weitere 16 Syrer, die am Nachmittag Friedland erreichen - unter ihnen ein 16-jähriges Mädchen im Rollstuhl. Und es gilt für weitere rund 15 000 Menschen, die im Rahmen des umstrittenen Flüchtlingspaktes zwischen der Europäischen Union (EU) und der Türkei nach Deutschland geholt werden. Insgesamt wollen die EU-Länder laut dem Mitte März geschlossenen Abkommen 72 000 Syrer und Syrerinnen aufnehmen. Ebenso viele Geflüchtete, zumeist mit Booten von der Türkei aus nach Griechenland gekommen, werden im Gegenzug in die Türkei zurückgebracht. Diese Massenabschiebung begann ebenfalls am Montag.

In Friedland verschwinden die Flüchtlinge nach Verlassen des Busses schnell in einem der nahen Gebäude. Die Gesichter vor allem der Frauen und Männer sind von dem Erlebten und Erlittenen, auch von den Strapazen der bislang letzten Reise gezeichnet. Fast alle wenden rasch die Köpfe von dem Pulk der neben dem Bus wartenden Kameraleute ab.

Die Flüchtlinge seien seit vier Uhr morgens türkischer Zeit auf den Beinen und sehr erschöpft, sagt Dolmetscher Samal Osman. «Während der Busfahrt haben sie die meiste Zeit geschlafen.» Osman bittet um Verständnis: Mit Journalisten sprechen will an diesem Tag niemand der Syrer, auch die Anwesenheit von Medienvertretern bei der kurzen Begrüßungszeremonie in der Lager-Caféteria sei nicht erwünscht.

Die Flüchtlinge bleiben 14 Tage im Lager Friedland, erläutert der Leiter der Einrichtung, Heinrich Hörnschemeyer. Nach der Erledigung der ersten Formalitäten und einem Gesundheitscheck können die Kinder bereits ab Donnerstag am Schulunterricht teilnehmen. Den Erwachsenen wird die Teilnahme an sogenannten Wegweiserkursen angeboten. Diese Kurse vermitteln erste Grundlagen der deutschen Sprache und informieren über Gesetze und Regeln in der Bundesrepublik.

Von Friedland aus werden die Familien in zwei Wochen auf andere niedersächsische Kommunen verteilt. Bis dahin würden sie im Lager bestens betreut, verspricht Hörnschemeyer. Derzeit leben nur 350 Menschen im Lager - fast zehnmal so viele waren es zu Hochzeiten des Flüchtlingsandrangs im letzten Jahr. «Uns tut es gut, mal eine Atempause zu haben», sagt Hörnschemeyer. Wenn es mehr Platz gebe und die Mitarbeiter weniger Stress hätten, sei das auch gut für die Flüchtlinge.

«Fassungslos» über die gleichzeitige Massenabschiebung von Flüchtlingen aus Griechenland äußerte sich Niedersachsens Flüchtlingsrat. «Europa handelt menschenverachtend und völkerrechtswidrig, weil dieser Deal mit der Türkei das internationale Flüchtlingsrecht mit Füßen tritt», so Geschäftsführer Kai Weber. Das internationale Flüchtlingsrecht sei «faktisch außer Kraft» gesetzt, weil Flüchtlinge ohne eine angemessene individuelle Prüfung ihrer Fluchtgründe in die Türkei abgeschoben würden: «In ein Land, das wegen massenhafter Menschenrechtsverstöße international kritisiert wird.

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