Kein Ausgleich für Atomausstieg
Landgericht Bonn wies EnBW-Klage auf Schadensersatz aus formalen Gründen ab
Die vier für einen aus ihrer Sicht »fairen« Atomausstieg kämpfenden großen Energiekonzerne haben gestern eine juristische Schlappe erlitten: EnBW, drittgrößtes Energieunternehmen Deutschlands, unterlag mit einer Klage vor dem Landgericht in Bonn. Der baden-württembergische Konzern hatte Schadensersatz wegen des Atommoratoriums von 2011 gefordert, weil zwei EnBW-Atomkraftwerke seinerzeit für drei Monate vom Netz gehen mussten, weswegen sie in dieser Zeit keine Gewinne abwarfen. Dabei habe keine akute Gefahr und deshalb keine Rechtsgrundlage für eine Abschaltung bestanden, meinten die Anwälte des Energieversorgers.
261 Millionen Euro wollte EnBW vom Bund sowie dem Land Baden-Württemberg erstreiten. Doch die Bonner Richter wiesen die Klage am Mittwoch aus formalen Gründen ab. Das Unternehmen habe die dreimonatige Zwangspause für seine beiden Kraftwerke Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1 nicht unmittelbar juristisch bekämpft, es vielmehr »schuldhaft unterlassen, den Schaden durch die Einlegung eines Rechtsmittels abzuwenden«, wie die Richter nun betonten.
Die EnBW-Anwälte argumentierten, die Zeit von drei Monaten sei zu kurz für eine Klage gewesen. Im Gegensatz zu EnBW hatte Konkurrent RWE allerdings gegen die zeitweilige Stilllegung seiner AKW geklagt und hat deshalb nun bessere Chancen auf Schadensersatz, wenn auch wohl nicht in der angestrebten Höhe.
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung im Sommer 2011 einen von manchen als radikal empfundenen Kurswechsel ihrer Energiepolitik vollzogen. So wurden sämtliche 17 deutschen Atomkraftwerke einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Die acht ältesten wurden zu diesem Zwecke für ein Vierteljahr still gelegt (»Atommoratorium«), später wurde ihnen die Betriebserlaubnis gänzlich entzogen.
Davon betroffen waren auch die EnBW-Reaktoren Philippsburg 1 sowie Neckarwestheim 1. Die neun weiteren deutschen AKW wurden mit einer verkürzten Restlaufzeit versehen. Schwarz-gelb beschleunigte also nach Fukushima den Atomausstieg wieder, den dieselbe Regierung zuvor durch Laufzeitverlängerungen ausgebremst hatte.
Die Altmeiler gelten indes als Cash-Kühe der großen Energiekonzerne: Rund eine Million Euro Gewinn wirft ein längst abbezahltes AKW pro Tag ab, trotz oft veralteter Technik und höheren Sicherheitsrisiken. Deshalb haben RWE, E.on, Vattenfall und EnBW ein massives Interesse, diese Kraftwerke so lange wie möglich laufen zu lassen.
Nun überziehen sie die öffentliche Hand mit einer Klagewelle. Sie wähnen sich enteignet, monieren rechtlich unzulässige Eingriffe und insbesondere eine mangelnde Rechtsgrundlage. Gegen den beschleunigten Ausstieg aus der Atomkraft kämpfen drei Energiekonzerne - alle mit Ausnahme von EnBW - mit Verfassungsbeschwerden an.
Doch laut des Kalkar-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts von 1978 kann der Gesetzgeber »von Verfassung wegen gehalten sein zu überprüfen«, ob frühere Grundsatzentscheidungen zur Atomkraft aufrechtzuerhalten sind. Nämlich dann, wenn die Grundlage dieser Entscheidung »durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird«. Ob die Katastrophe von Fukushima eine solche »Entwicklung« war, ist offen.
Insgesamt wollen die Energieriesen 20 Milliarden Euro erstreiten, letztlich aber wohl einen für sie günstigen Kompromiss mit der Bundesregierung erzwingen - betreffend die Finanzierung der Ewigkeitskosten des Atomzeitalters. Wer zahlt für den Atommüll?, lautet die eigentliche Frage. Sollte sich hier eine Einigung ergeben, würden die Klagen wohl schnell fallen gelassen.
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