Angebote statt Worthülsen
Experten fordern schnellere Öffnung des Arbeitsmarkts für Flüchtlinge in Deutschland - etwa durch eine Abschwächung der Vorrangsprüfung
Als die Robert-Bosch-Stiftung im März 2015 eine »Expertenkommission« zur Flüchtlingsfrage zusammenstellte, war das Thema schon wichtig - aber längst nicht so dominierend wie zuletzt. Damals ging man, erinnerte sich Armin Laschet als Vorsitzender dieser Kommission am Mittwoch bei der Vorstellung ihres Berichtes, von maximal 200 000 Flüchtlingen im Jahresverlauf aus.
Es wurde ein Vielfaches davon. Immer wieder, so der Düsseldorfer CDU-Politiker, wurde die Kommission von der Realität, von drastischen Stimmungsschwankungen und eiligen Gesetzen überholt. Diesen »Sprint« habe man kaum mitlaufen können - wohl aber Überlegungen darüber anstellen, wie der »Marathon« dauerhafter Integration zu bewältigen sei und welche Hürden dabei störten.
In einem war sich die zehnköpfige Gruppe einig, der auch die Stuttgarter Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD), der Ex-Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, sowie Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt angehörten: Am besten ist ein rascher Eintritt in den Beruf. Ein wichtiges Hindernis sei da die sogenannte Vorrangsprüfung: Flüchtlinge sind in den ersten 15 Monaten nur dann zu beschäftigen, wenn sich kein EU-Bürger findet.
In gegenwärtiger Form sei dies absurd, so Alt: Die abstrakte Prüfung bezieht sich gar nicht auf konkrete Fälle. Im Ergebnis kann einem Flüchtling eine Stelle verweigert werden, ohne dass ein »Bevorrechtigter« tatsächlich vermittelt wird. Wünschenswert sei eine Abschaffung dieser Regel, zumindest aber eine Vereinfachung: Wird nicht binnen zwei Wochen ein geeigneter EU-Bürger vermittelt, sollte der Flüchtling den Job bekommen.
Unbefriedigend seien auch Duldungen während der Ausbildung. In einer Lehre müsse Rechtssicherheit herrschen. Um Bewerber und Angebote zusammenzubringen, empfiehlt die Kommission eine zentrale Datei über die Qualifikationen von Flüchtlingen. Eine Erleichterung sei es auch, für Flüchtlinge nach längerer Erwerbslosigkeit wie für einheimische Langzeitarbeitslose den Mindestlohn für das erste halbe Jahr auszusetzen. Pro-Asyl-Geschäftsführer Burkhardt distanzierte sich allerdings davon und warnt, anhand von Flüchtlingen »den Mindestlohn auszuhöhlen«.
Ferner fordert die Gruppe eine Neufassung des Begriffs der »guten Bleibeperspektive«, der seit dem Asylpaket I vom Herbst rechtliche Bedeutung hat und etwa über das Anrecht auf Integrationskurse entscheidet. Die Kommission empfiehlt, von einer »bereinigten Schutzquote« auszugehen, die sich nur auf tatsächliche deutsche Asylentscheidungen bezieht und nicht etwa Bewerber mit einrechnet, die hierzulande nur deswegen keinen Schutz erhalten, weil nach dem Dublin-Verfahren andere Staaten für sie zuständig sind. Außerdem müsse es für spezifisch bedrängte Minderheiten besondere Maßstäbe geben. So gemessen, sagte Burkhardt, hätten anders als bisher auch Afghanen oder Somalier eine »gute Bleibeperspektive« von mehr als 50 Prozent Anerkennung. Generell aber hält er nichts von dieser Präjudizierung. Im Mittelpunkt müsse die Einzelfallprüfung bleiben, heißt es in einer angefügten Minderheitenmeinung Burkhardts.
Keine Empfehlung fand die Kommission bei der jüngst diskutierten Frage von Wohnortauflagen für anerkannte Flüchtlinge: Laschet und Alt wollen Freizügigkeit an eine Arbeitsaufnahme knüpfen, Burkhardt wandte sich scharf gegen solche aus seiner Sicht rechtswidrigen Pläne.
Einigkeit aber bestand darin, dass die Verteilung von Flüchtlingen nach dem »Königsteiner Schlüssel« unbefriedigend, mit einer schnellen Alternative aber kaum zu rechnen sei. Und darin, dass statt »Worthülsen« wie »Integrationsverweigerung« Angebote geschaffen werden müssten. Denn Integration ist, wie Öney sagt, eine Frage nicht nur des Wollens, sondern auch Könnens und Dürfens.
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