Dauerhafte Perspektivlosigkeit

Schlechte Aussichten nach 17 Jahren Quartiersmanagement in der High-Deck-Siedlung

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Wohnungen sind bezahlbar, aber wirklich wohl fühlen sich die Bewohner am Südende der Sonnenallee in Neukölln nicht.

»Es gibt teilweise kannibalistische Szenen zwischen Mietinteressenten an unseren Beratungsschaltern«, berichtet Ingo Malter, Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft »Stadt und Land«. 973 Wohnungen besitzt die Gesellschaft im Gebiet rund um den Neuköllner Schulenburgpark. Ihr größter Vorteil: Sie sind bezahlbar. Das Ensemble der 1926 errichteten Zeilenhäuser mit viel Grün wirkt idyllisch.

»Wenn ich vorher gewusst hätte, wie es hier ist, wäre ich nicht hergezogen«, sagt allerdings Marlis Schneider. Seit bald neun Jahren wohnt die 66-Jährige in einer 46-Quadratmeter-Wohnung der »Stadt und Land« mit zwei Zimmern. 405 Euro Warmmiete zahlt sie dafür, wirklich billig findet sie das nicht. Das stört sie nicht so sehr, was ihr auf den Geist geht ist das »Theater« den ganzen Tag. »Die Nachbarn werfen Lebensmittel aus den Fenstern und mir laufen die Ratten über die Schuhe«, berichtet sie. Laufend müsse sie Dealer vertreiben, außerdem hätten viele Nachbarn permanent lautstarke Auseinandersetzungen.

Geduldig hört sich Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) die Sorgen und Nöte von Anwohnern und Projektverantwortlichen an. Er macht an diesem Mittwochmorgen einen Rundgang durch das frisch um die Häuser am Schulenburgpark erweiterte Gebiet des Quartiersmanagements (QM) High-Deck-Siedlung/Sonnenallee.

Seit 17 Jahren arbeiten die Quartiersmanager dort, der Erfolg scheint begrenzt. »Arbeitslosigkeit, Armut, eine geringe Bildung und ein Lebensalltag, der durch unterschiedliche kulturelle und religiöse Werte und Anschauungen geprägt ist, erschweren das nachbarschaftliche Zusammenleben und führen zu Konflikten in den Familien und in den Nachbarschaften«, heißt es im integrierten Handlungs- und Entwicklungskonzept 2015 bis 2017 des Quartiersmanagements. »Die sozialen Spannungen und Konflikte haben sich teilweise zwischen den Migrantengruppen nochmals verschärft«, heißt es weiter, Raubüberfälle auf Geschäfte und viele weitere Dinge hätten Bewohner stark verunsichert.

»Das Quartiersmanagement wirkt wie eine Integrationsmaschine«, sagt Andreas Geisel trotzdem. Es gehe in seinem Ressort »nicht nur darum, zu bauen, sondern auch die Nachbarschaften zu organisieren«. Ursprünglich habe man gedacht, dass nach einem Jahrzehnt die Arbeit des Quartiersmanagements erledigt sei, das funktioniere nur mancherorts.

»Es ziehen immer wieder neue Menschen hierher. Dann beginnt unsere Arbeit wieder von vorne«, sagt Quartiersmanagerin Ines Müller. Im Erweiterungsgebiet seien die Wohnungen kleiner als in der High-Deck-Siedlung, deswegen gehe es nicht um ganz so große Familien. Doch Konflikte gebe aus auch ganz viele in den Häusern. »Die von uns ausgebildeten Mediatoren sind da schon unterwegs.« Hauptthema seien Nachbarschaftsstreitigkeiten um Lärm. »Gerade die Kombination von Familien und Ein-Personen-Haushalten ist konfliktträchtig«, sagt Müller.

Eine Station der Tour ist auch die mitten im Quartier gelegene Kepler-Sekundarschule. »Wir hatten über Jahre nicht den besten Ruf«, sagt der seit etwas über einem Jahr amtierende Schulleiter Moritz Dreher. »Zum Teil war das auch selbstverschuldet.« In der Folge sind nur 280 der 370 Schulplätze besetzt. Aktivitäten wurden bereits einige entwickelt. »Es gibt unter anderem ein Mentorenprogramm für Schüler, die durchaus einen Abschluss schaffen können, aber Hilfe brauchen«, sagt Dreher. Das sind ältere oder auch junge Erwachsene, die den Jugendlichen die Welt außerhalb der Siedlung zeigen. Ausflüge in den Wald oder auch mal in einem richtigen Restaurant essen zu gehen, gehört dazu.

Zumindest die Schule hat ihr Tief überwunden, die Anmeldezahlen steigen wieder. Die Perspektivlosigkeit der Bewohner, sehr viele haben weder Arbeit noch eine Ausbildung, wird sich wohl nicht durch ein bisschen Sozialarbeit großartig ändern lassen. Bleibt zu hoffen, dass die High-Deck-Siedlung kein Blick in die Randberliner Zukunft ist.

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