Menschenversuche inbegriffen

Freitags Wochentipp: »Akte D: Die Macht der Pharmaindustrie«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Öffentlich-Rechtlichen Sender, so scheint es, haben einen Pakt mit höheren Mächten geschlossen, der ihnen zurzeit unerwartete PR beschert. Erst erntet die NDR-Sendung »extra 3« für eine diplomatische Intervention der Türkei wegen eines Lieds über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğans globale Aufmerksamkeit; nun rührt die Staatsanwaltschaft Mainz für ein Gedicht des ZDF-Rowdys Böhmermann die Werbetrommel, das Erdoğans beleidigen sollte. Dabei ist offen, ob Erdoğan »Ziegen ficken« wirklich so mag wie »Minderheiten unterdrücken«, aber darum geht’s auch gar nicht. Es geht ums Prinzip.

Das wollen beide Seiten gewahrt sehen: Die eine jenes der künstlerischen Freiheit, die andere jenes der soziokulturellen Moral. Einigen wir uns diplomatisch darauf, dass Erdoğan zwar auch dank Angela Merkels langjähriger Ausgrenzungspolitik ein lupenreiner Diktator zu werden droht, aber vermutlich weder Sex mit Ziegen noch sonst wem hat. Dafür fehlt einem echten Tyrannen beim dauernden Unterdrücken von Minderheiten schließlich schlicht die Zeit.

Andererseits ist die Sache eine nette Ablenkung von den »Panama Papers«, die demnächst auch ein paar deutsche Promis in die Leitmedien von »Süddeutsche« bis »Tagesschau« spülen dürften. Ach, wie wünscht man sich doch manchmal die biedere Bonner Republik zurück, der das Erste nächstes Jahr einen Mehrteiler widmet, wie es grad stolz verkündet hat. Darin werden die Nachkriegsjahre gewohnt opulent in Szene gesetzt und damit jene Phase, deren Abgründe ausgerechnet die ARD am Montag abermals hervorhebt.

Zum Auftakt des zweiten Teils der preisgekrönten Doku-Reihe »Akte D« geht es um die »Macht der Pharmaindustrie«. Die, das belegt der herausragend recherchierte Film zur herausragend miesen Sendezeit um 23.30 Uhr, hat in der blutjungen BRD ihr NS-geschultes System menschenverachtender Profitorientierung so zur Perfektion getrieben, dass die verbrecherischen Menschenversuche der zwölf Jahre zuvor plötzlich seltsam logisch wirken. Von Contergan über HIV-verseuchte Blutgerinner oder heimliche Arzneitests an DDR-Bürgern bis hin zur brutalen Lobbyarbeit gegen jede Form von Patientenrecht und gesetzlicher Regulierung hat sie sich zum Selbstbedienungsladen unternehmerischer Gier deformiert.

Unter willfähriger Mithilfe der Politik nimmt sie den Kollaps des Gesundheitssystems dabei mit allen nur erdenklichen Opfern nicht nur billigend in Kauf, sondern treibt ihn massiv voran. Und zwar im Grunde schon, das zeigt Winfrid Oelsners Film brillante Geschichtsstudie perfekt, seit die Pharmazie Ende des 19. Jahrhunderts dank der Firma Bayer vom Handwerk einzelner Pillendreher zur milliardenschweren Industrie wuchs. Ein schmerzhafter, ein bedeutender Film. Der am Montag drauf kaum entspannender fortgesetzt wird, wenn es ums »Comeback der Rüstungsindustrie« geht. Die schießt ja bekanntlich - hofiert von fast allen Parteien - fleißig mit in aller Welt.

ARD, 11.4., 23.30 Uhr

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