Das ist dann besonders grausam
Die fiese Großmutter, die dem Kind Schauermärchen erzählt: Matthias Dell über den neuen Frankfurter Tatort »Die Geschichte vom bösen Friederich«
In München letzte Woche war die Musik lobenswert, in Frankfurt will sie diese Woche zumindest bemerkenswert sein. Die Credits im Vorspann verweisen darauf, dass für die Einspielung von Christine Aufderhaars Komposition das HR-Sinfonieorchester gewonnen werden konnte.
Nicht zur Komposition gehört das Lied, das nach dem Vorspann ertönt und das die Stimmung gleich mal runterfährt: »Asche zu Asche« von der beliebten Teutonenrockband Rammstein. Immerhin, könnte man sagen, kleidet der Song Frankfurt und die Folge »Die Geschichte vom bösen Friederich« (HR-Redaktion: Liane Jessen, Lili Kobbe) recht schick. Rammstein ist die fiese Großmutter, die dem Kind Schauermärchen erzählt, ein rollendes R zu musikalischem Wir-sind-so-hart-Geprügel, ein Metaphernmetal, der kryptomythisch »Urangst« grunzt (»Ich komm wieder/in zehn Tagen/als Dein Schatten/und werd' Dich jagen«). Denn so was Ähnliches will der neue Frankfurter »Tatort« auch.
Dafür stellt die Folge mit Nicholas Ofczarek ein burgtheatergestähltes, salzburgerfestspielebewehrtes Schauspielerkörperpfund in den Raum, was den Vorteil hat, dass dem damit gezeichneten Charakter alles zuzutrauen ist. Genauer lässt sich die Pathologie, die Ofczareks resozialisiertem - das ist doch mal eine originelle Berufswahl - Zahntechniker zu schaffen macht, nämlich leider nicht fassen. Und die historische Resonanzen verursachende, gebildet klingende »Struwwelpeter«-Anspielung im Titel führt nur ins Leere (Drehbuch: Volker Einrauch) - der böse Friederich heißt im »Tatort« Alexander Nolte.
Und der macht wiederum, was er wollte - durch die eigentümliche Atmosphäre (Regie: Hermine Huntgeburth), die in der Folge herrscht und die nicht Realismus gerufen werden möchte, bewegt der Böserich sich völlig konsequenzlos. Ein Mord hier, eine Manipulation da, und trotzdem schwört die Therapeutin (Ursina Lardi), bei der der Zahntechniker manchmal übernachtet, dass die Resozialisierung spitzenmäßig anschlägt.
Es geht eine eigenartige Ödnis von der Ofczarek-Figur aus, weil die Geschichte die Zutaten zum Psychopathen zwar rauslegt, sich damit aber gar nichts backen will: Der Böserich versteckt sein eigenes Koks im Badschrank der Kommissarin, was der Kollege Grand Brix (Wolfram Koch) wieauchimmer findet, aber nie belegt dieses falsche Indiz irgendwas. Der Böserich verbrennt das Taschentuch mit den Fingerabdrücken vom Messermord am Berber Busche und drapiert die Asche bedeutungsschwanger im Haar, wo die Kommissare sie dann auch finden. Und verstehen, dass das etwas zu bedeuten haben wird. Etwas. Bedeuten. Tja.
Es wird einem schnell zu blöd in diesem Film, was auch damit zu tun hat, dass in der dritten Folge des neuen Frankfurter Gespanns sich schon wieder eine - für die Zuschauerin ja immer völlig unbekannte - Vergangenheit wichtigtuerisch in den Vordergrund schiebt.
Dass Fanny (Zazie de Paris), die lustige Haushälterin vom Grand Brix, die ihre Unwichtigkeit als Figur für künftige Episoden hier bereits andeutet, schon wieder Besuch von Klienten ihres Untermieters bekommt. Dass überhaupt schon wieder ein Täter seine Kommissarin duzt, als wäre dieser Kriminalfall ein total schickes Startup, in dem alle gut drauf sind.
Das Frankfurt von Brix und Janneke erscheint mit seinem nun dritten Fall wie ein Mitglied dieser narzisstischen »Millenials«-Generation, in der alle immer nur um sich kreisen. Man merkt den Figuren an, dass sie ganz viel wollen und dabei auch noch großen Wert auf ihre Individualität legen; die Kommissarin fotografiert am Tatort zum Beispiel immer selbst. Das ist ziemlich anstrengend.
Hoffnung spenden der Ivo und der Franz, als Miro Nemec und Udo Wachtveitl, die in einem ihrer Jubiläumsinterviews von den Kinderkrankheiten eines »Tatort«-Schauplatzes gesprochen haben: »Man sieht ja gerade bei der großen Zahl der neuen Teams, dass alle das Problem haben, das wir am Anfang auch hatten: Man denkt, man muss da eine Mords-Duftmarke setzen.« Muss man aber gar nicht.
Eine Auskunft, mit der man auf Stehpartys reüssieren kann:
»Hier gibt's doch überhaupt keinen Geldautomaten.«
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Sie haben schon wieder nicht angeklopft.«
Ein Auftakt für ein vielversprechendes Gedicht:
»Du hast Dich in meine Seele geschlichen.«
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