Mit Furcht und Begeisterung

Die Angestellten der argentinischen Zeitung «Tiempo Argentino» verwandeln ihr Blatt in eine Genossenschaft

  • Bettina Müller
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach viermonatigem Kampf um die Gehälter und knapp zweimonatiger Besetzung der Redaktion haben die Angestellten der Zeitung «Tiempo Argentino» am 1. April beschlossen, den Betrieb selbst zu übernehmen.

Die Alarmglocken begannen bei den Angestellten der «Grupo 23» schon Ende Oktober 2015 zu läuten, als sich abzeichnete, dass der neoliberal-konservative Mauricio Macri Präsident Argentiniens werden könnte. Dieser hatte bereits angekündigt, massiv gegen alle vorzugehen, die mit der Vorgängerregierung Kirchner zu tun gehabt hatten. Häufiger als sonst lud die Betriebsgewerkschaft von «Tiempo Argentino» die 205 Mitarbeiter zu Versammlungen ein.

Die Befürchtungen bestätigten sich, als im November die Gehälter in dem Regionalblatt «El Argentino» und im Dezember auch bei «Tiempo Argentino» ausblieben. Es folgten Vollversammlungen aller zur «Grupo 23» gehörenden Medien, Demonstrationen unter dem Motto «Nein zur Aushöhlung der »Grupo 23« und ein Solidaritätsfestival am 31. Januar zu dem mehr als 25 000 Menschen kamen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Zeitung noch weiterhin gedruckt worden. Doch am 5. Februar erhielten die Mitarbeiter von »Tiempo Argentino« die Nachricht, das Medium solle nicht mehr herausgegeben werden. Noch am selben Tag beschlossen sie, die Redaktion zu besetzen.

Warum sie sich zu diesem Schritt entschlossen haben? Laut Alfonso de Villalobos, einem Gewerkschaftsdelegierten der Zeitung, die logische Konsequenz aus sechs Jahren gewerkschaftlicher Organisation. »Zudem hätte das kampflose Aufgeben des Arbeitsplatzes bedeutet, alle Rechte auf Entschädigung aufzugeben und Szpolski und Co mit ihren verbrecherischen Machenschaften davonkommen zu lassen.«

Doch nicht nur die Unternehmer sind den Mitarbeitern von »Tiempo Argentino« die Antworten auf ihre Forderungen nach Gehaltsnachzahlung und Entschädigung schuldig geblieben. Seit Monaten sind auch sie in Gesprächen mit dem Arbeitsministerium, da der Staat der Tageszeitung etwa 80 Millionen Pesos für den Abdruck staatlicher Werbung schuldet. Präsident Mauricio Macri selbst äußerte sich bislang nur ein Mal zu den Forderungen der Mitarbeiter von »Tiempo Argentino« mit dem Satz: »Die, die Gehälter zu bezahlen haben, müssen eben zahlen.«

Trotz der ausbleibenden Lösungsvorschläge von offizieller Seite ist die Solidarität mit den Mitarbeitern der Zeitung sehr groß. »Immer, wenn wir schon begannen, aufgrund der fehlenden Antworten, den Mut zu verlieren, ergab sich etwas Großartiges«, berichtet Javier Borelli, ein Mitarbeiter der Zeitung. Er erinnert sich an das Festival vom 31. Januar oder an die 25 000 Zeitungsexemplare, welche er mit seinen Kollegen anlässlich des 40. Jahrestages des Militärputsches am 24. März innerhalb eines Tages verkaufte - großteils von Hand zu Hand. »Das hat uns gezeigt, dass wir es schaffen können«, so Borelli.

Die Gründung der Genossenschaft, von den Mitarbeitern der Zeitung »Tiempo Argentino« am 1. April einstimmig beschlossen, war dann nur die logische Konsequenz des fast viermonatigen Arbeitskampfes. Obendrein war da das Blatt bereits zu einem Symbol des Widerstandes gegen die Massenentlassungen und neoliberalen Sparmaßnahmen der Regierung Macri geworden. »Zum einen sind wir Aushängeschild der vorherigen Regierung und zum anderen des Kampfes gegen die repressiven Maßnahmen Macris, was bedeutet, dass sie uns nicht gewinnen lassen dürfen«, erklärt Javier Borelli und Alfonso de Villalobos pflichtet ihm bei. So würde ihr Kampf in den großen Medien Argentiniens auch tot geschwiegen.

Doch die Herausforderungen, vor denen die Arbeiter stehen, sind immens: keiner der Mitarbeiter hat Erfahrung im Bereich der genossenschaftlichen Organisation. Die 110 Mitarbeiter, die sich bereits als Mitglieder der Genossenschaft eingeschrieben haben, müssen in Lohn und Brot gebracht werden, was auch eine Umstrukturierung der Aufgabenverteilung mit sich bringt. Verschiedene politische Ansichten - von sehr links bis zur glühenden Anhängerschaft der Regierung Kirchner - müssen unter einen Hut gebracht werden. Außerdem haben die Mitarbeiter von »Tiempo Argentino« vorerst die Tatsache zu verkraften, dass jedenfalls mittelfristig ihr zu erwartendes Einkommen nichts mit dem vorherigen Gehalt zu tun haben wird.

»Aber seit wir uns für die Gründung der Genossenschaft entschieden haben, arbeiten wir Tag und Nacht an ihrer Umsetzung - mit Begeisterung, aber auch mit Furcht - hoffend, dass wir den großen Erwartungen gerecht werden können«, beendet Borelli den Bericht eines Arbeitskampfes, der nur schwerlich in einen einzigen Zeitungsartikel passt.

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