Niemand bleibt ohne Schuld
Im Kino: »A War« von Tobias Lindholm
Drei Filme hat der dänische Drehbuchautor Tobias Lindholm bisher gedreht, drei Filme unter eigener Regie. Alle drei handeln von Männern in Ausnahmesituationen. Von Männern unter Druck, konfrontiert mit jähen Ausbrüchen lebensbedrohlicher Gewalt. Ruhiges, äußerlich unaufgeregtes Filmemachen über existenziell hochdramatische Situationen ist Lindholms Markenzeichen.
»R«, in Deutschland seinerzeit nur auf Filmfesten zu sehen, spielt in einem dänischen Gefängnis, der Held, selbst Häftling, wird zwischen rivalisierenden Gangs aufgerieben, sein Freund und Wettbewerber von korrupten Aufsehern ans Messer geliefert. »A Highjacking«, in Deutschland nur auf DVD erschienen, erzählt mit beeindruckender Realitätsnähe von einem dänischen Frachter, der von somalischen Piraten gekapert wird. Er erzählt das einerseits aus Sicht der auf dem Schiff unter ständiger Todesangst eingepferchten Seeleute. Und, parallel dazu, aus Sicht des finanziell durchaus opferbereiten Reeders, der zuhause in Dänemark zwischen den Forderungen der Angehörigen nach schnellstmöglichem Freikauf der Geiseln und den ganz anders lautenden Ratschlägen der Vermittlungsstrategen in die Krise gerät.
»A War« ist der dritte Film in dieser losen Reihe - zwischen den eigenen Regiearbeiten schreibt Lindholm auch die Drehbücher für die Filme von Dogma-Mitbegründer Thomas Vinterberg, jüngst »Die Jagd«, mit Mads Mikkelsen als Grundschullehrer unter Pädophilie-Verdacht, und zuletzt den Berlinale-Preisträger »Die Kommune«, der nächste Woche in die Kinos kommt. Außerdem war Lindholm einer der Autoren der erfolgreichen Polit-Fernsehserie »Borgen«. Pilou Asbæk, der in »R« seine erste Hauptrolle spielte und in »A Highjacking« den Koch des gekaperten Schiffs, bei »Borgen« den Spin Doctor und demnächst (ausgerechnet!) einen Piratenkapitän in »Game of Thrones«, ist in »A War« der Führer einer Einheit in Afghanistans höllischer Helmand-Provinz. Er will dort nur seinen Job machen, und er will ihn gut machen - aber sein Job ist Krieg, und daran ist nun einmal gar nichts gut. Auch wer Leib und Leben behält, kehrt mit Narben zurück. Und voller Schuld.
Ausgangsbasis des Films ist eine wohlüberlegte Versuchsanordnung: Ein anständiger Mensch und Familienvater, ein guter Soldat und verantwortungsbewusster Vorgesetzter, zieht aus beruflichen Gründen in ein Kriegsgebiet und trifft dort kriegsbedingte Entscheidungen. Entscheidungen, die gravierende Konsequenzen haben werden. Für ihn, für seine Familie, für die Einheimischen vor Ort, für seine Soldaten. Vielleicht war schon die Entscheidung falsch, als junger Familienvater überhaupt Soldat zu werden - oder als Soldat im Auslandseinsatz Frau und Kinder haben zu wollen.
Möglicherweise hätte er nicht mit auf Patrouille gehen sollen, um die Moral der Truppe aufzubauen, nachdem wieder einer der ihren inmitten einer modderbraunen Brache von einem hausgemachten Sprengsatz zerrissen wurde. Vielleicht wäre es besser gewesen, auch die nächsten Patrouillengänge vom Führerstand im Lager aus zu überwachen, als sich selbst unter direkten Beschuss zu begeben. Vielleicht hat dieser Claus M. Pedersen aber auch nur genau das getan, was er auch seinen Männern abverlangte: sich für die »gute Sache«, für den Schutz der Zivilbevölkerung, den Wiederaufbau des Landes, für eine bessere Zukunft, für »Frieden und Wohlstand« und alle diese Dinge an vorderster Front täglich selbst in Gefahr zu begeben. Unterm Strich wird er damit weder (alle) seine Männer noch die Zivilbevölkerung noch sich selbst schützen können.
In der zweiten Hälfte des Films steht Claus M. Pedersen vor Gericht, weil einer seiner Befehle internationalem Recht zuwiderlief und zivile Opfer kostete. Und während er selbst für seine Schuld vielleicht gerne die Strafe zahlen würde, drängt seine Frau, er müsse nun endlich an die eigenen Kinder denken - und alles leugnen. Das Fazit ist eindeutig: der Terminus »Kriegsverbrechen« ist tautologisch. Jeder Krieg ist ein Verbrechen an den Menschen, die ihn erleiden, ob sie nun kämpfen oder nicht.
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