Süße und bittere Pille für Datenschützer
EU-Parlament beschließt Reform zum Schutz von Verbraucherrechten und Sammeln von Fluggastdaten zugleich
Von »starken Verbraucherrechten« spricht Jan Philipp Albrecht, Europaabgeordneter der Grünen und Verhandlungsführer für das Parlament, wenn es um den endgültigen Text der Datenschutzreform in der EU geht. An diesem Donnerstag wird sie vom EU-Parlament in Straßburg mit voraussichtlich überwältigender Mehrheit angenommen - gut vier Jahre, nachdem die EU-Kommission ihre Vorschläge dazu veröffentlicht hatte.
Die EU-Gesetze zu der Frage, wie Unternehmen mit Daten von Kunden umgehen dürfen und was grundsätzlich mit persönlichen Angaben im Internet geschehen soll, waren längst nicht mehr aktuell. Die bisher jüngsten EU-Vorschriften dazu stammen aus dem Jahr 1995. Damals war die europäische Lebenswelt noch im vordigitalen Zeitalter, mittlerweile ist sie mittendrin.
Relativ schnell einigten sich die EU-Volksvertreter unter Federführung von Albrecht auf eine erste überarbeitete Fassung der Kommissionsvorschläge. Das war im November 2013. Die Justiz- und Innenminister der Mitgliedsstaaten taten sich schwerer. Für sie galt es, sich von 28 nationalen Regelungen zu verabschieden, zugunsten EU-weit einheitlicher Vorschriften. Denn die Reform soll künftig sicherstellen, dass alle Bürger in allen EU-Staaten die gleichen Rechte haben - eine Art EU-Grundrechtscharta für Datenschutz also. Erst im Juni 2015 fanden die Minister einen gemeinsamen Nenner, im Dezember vergangenen Jahres kam es zu der abschließenden Einigung mit dem Parlament.
Danach soll die Verarbeitung von Daten nur nach ausdrücklicher Einwilligung des Nutzers oder Kunden möglich sein. Eine Einwilligung zur Verarbeitung soll leicht wieder zurückgenommen werden können. Ebenso darf der Verbraucher darauf bestehen, dass seine Daten aus Speichern von Unternehmen wieder gelöscht werden, das »Recht auf Vergessenwerden«.
Die Regeln gelten auch für nicht aus der EU stammende Unternehmen, die in der EU Geschäfte abwickeln. Das ist vor allem bedeutend für große Unternehmen wie Google, Microsoft, Apple oder Facebook. Verstöße gegen die neuen Vorschriften können mit bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes des betroffenen Unternehmens bestraft werden. Kinder unter einem bestimmten Alter benötigen die Zustimmung der Eltern, um etwa bei Facebook oder Instagram ein Social-Media-Konto zu eröffnen. Die neuen Vorschriften räumen den Mitgliedsstaaten einen Spielraum für die Altersgrenzen von mindestens 13 und höchstens 16 Jahren ein.
Viel umstrittener als die Datenschutzreform ist die Einführung eines europäischen Fluggastdaten-Sammelsystems (PNR), das nun ebenso im Parlamentsplenum abschließend abgestimmt wird. Auch hier gilt eine breite Mehrheit - aus Bürgerlichen, Liberalen und Sozialdemokraten - als ausgemacht. Denn unter dem Eindruck der Anschläge von Paris im November 2015 stimmten plötzlich auch bislang kritische Abgeordnete im zuständigen Ausschuss zu. Und diese Voten sind meist richtungsweisend für die Entscheidung im Plenum.
Lange hatte das Parlament Widerstand gegen die Speicherung der Daten geleistet, die von Passagieren bei einer Flugreise geliefert werden müssen. Die USA hatten solch ein System nach den Anschlägen vom 11. September eingeführt. Die EU geriet darüber mit den USA in Streit, weil sie eine solche pauschale Datenspeicherung von allen Flugpassagieren sowie die Erlaubnis, diese zu polizeilichen Zwecken weiterzuleiten, im Namen der Terrorbekämpfung für rechtswidrig hielt. Doch dann schlug die EU-Kommission 2011 eine Richtlinie über die Fluggastdatensätze vor. Das Parlament rief den Europäischen Gerichtshof an. Der wertete das grundlose Sammeln und Aufbewahren der Daten als grundrechtswidrig. Dennoch soll es, erneut mit Verweis auf die Terrorbekämpfung, jetzt eingeführt werden. Die Europaabgeordnete Cornelia Ernst (LINKE) fürchtet eine Verschlechterung der polizeilichen Ermittlungsergebnisse durch PNR. Die Massenüberwachung führe zur Ablenkung der Behörden. »Es wird Europa unsicherer machen, nicht sicherer«, so Ernst gegenüber »nd«.
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