Rebell mit Ritterschlag
Zum Tode Weskers
Die Stücktitel seiner bekanntesten Trilogie aus dem Londoner East End waren Programm: »Tag für Tag«, »Hühnersuppe mit Graupen«, »Ich spreche von Jerusalem«. Die Küche als Kontinent. Die Tristesse als Totalität. Der Brite Arnold Wesker zeigte die direkte Auswirkung von Weltpolitik und Weltgeschichte auf den plebejischen, proletarischen Alltag. Die Differenz zwischen Bewusstsein, also Sprache, und sozialer Lage gewissermaßen als abstrakte Hauptperson des Spiels. Freilich beharrte Wesker auf der Konsequenz des Lehrstücks, er war somit Konjunkturwellen ausgesetzt. Aber es blieb nach über vierzig Stücken doch eine wehmütige Erinnerung an die Bewegung jener britischen »zornigen jungen Männer« um Osborne, Pinter, Arden, Delaney und eben Wesker, die in den fünfziger, sechziger Jahren das Raue und Rebellische von kraftbewussten Arbeiterexistenzen oder das Bedrückte und Beschädigte von energielosen Kleinbürgern ins Zentrum ihrer Kunst rückten. Kombattanten eines Ken Loach. Ahnkumpel eines Franz Xaver Kroetz. Vorgänger des räudigen Royal Court Theaters, dessen gnadenlosen Realitätsdreck hierzulande besonders Thomas Ostermeier (Sarah Kane, Mark Ravenhill) auf die Bühne brachte.
Schöne britische Kultur: Der soziale Kritiker Wesker wurde 2006 vom Königshaus zum Ritter geschlagen. Der Sohn eines jüdischen Kommunisten nannte das »einen trefflichen Schlag gegen jene, denen ja bereits eine gewisse Bürgernähe als Verrat am linken Geist gilt«. Inzwischen erleben seine Stücke in Großbritannien eine Renaissance. Ein dramatisches Modell wird abgesucht nach dem, was an ihm alt und also gültiger denn je sein könnte: der Mensch. Der Arbeiter ohne Klasse; der Kämpfer ohne wirklich wirksame Organisation; der kleine Mann ohne große Utopien - erst wenn die Weltbildwände fallen, erst wenn wir in den Trümmern der Illusion stehen, blicken wir ins Freie. Nun ist Arnold Wesker, 1932 geboren, im Alter von 83 Jahren in London gestorben. hds
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