»… auf dieser Welt sein«

Der Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Christa Wolf in erweiterter Ausgabe

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 3 Min.

Christa Wolf, gern auch mal drastisch im Ausdruck, wenn etwas sie sehr bewegt, schreibt der Freundin Brigitte Reimann im Oktober 1972 in einem Brief: »Verdammt, daß die guten Bücher immer an Leiden gebunden sind.« Nun, nach dem Tod von Christa Wolf 2011, lesen sich die Briefe wieder anders. 1993 hat Angela Drescher diesen Briefwechsel erstmals herausgegeben, da stand Christa Wolf noch mitten im Leben. Dieses Dokument der Freundschaft ist auch ein Vermächtnis.

Damals, als sie sich kennenlernten auf einer gemeinsamen Moskau-Reise 1963, war der Abstand zwischen der Älteren und der Jüngeren noch spürbar. Brigitte Reimann (1933-1973) beschreibt Christa Wolf (1929-2011): »Sie ist so klug und mütterlich, eine Beschützerin vor allen Anfechtungen und der Typ Frau, der man nachts, im Dunkeln, alles erzählt.« Später kommt viel Ungemach auch über Christa Wolf, wirft ihr die führende Kulturpolitik nach ihrem Roman »Nachdenken über Christa T.« Haarsträubendes vor. Aber sie steht es durch, weil sie ihre Familie und auch, weil sie enge Freundinnen hat.

Das Besondere hier: zwei Verbündete, zwei Romanschriftstellerinnen. Sie brauchen nur wenige Worte und wissen, wovon die Rede ist; tauschen sich rückhaltlos aus über das eigene Schreiben ebenso wie über Querelen und Kollegen im Schriftstellerverband und die ganze komplizierte Situation der Literaturpolitik der DDR in diesen sechziger und frühen siebziger Jahren. So bekommt der Briefwechsel ganz von selbst eine zusätzliche überindividuelle Ebene: ein Stück Literaturgeschichte wird sichtbar am Horizont; die Kämpfe, in die beide Schriftstellerinnen gestellt waren, sind deutlich erkennbar. Und sie ermutigen sich gegenseitig, indem sie gemeinsam das durchschauen, was es manchmal so schwer macht, festzuhalten an ihren Projekten. In seinem Vorwort über die Freundschaft zwischen Brigitte Reimann und Christa Wolf betont Gerhard Wolf gerade diesen Aspekt.

Die Krebserkrankung Brigitte Reimanns spielt natürlich ab 1968 eine gravierende Rolle in den intimen Mitteilungen beider. Es rührt menschlich tief an, dass Brigitte Reimann, die über ihren unabwendbaren Zustand Bescheid weiß, der Freundin gegenüber ihre Angst nicht verbirgt und im Brief vom 6. Dezember 1971 den Aufschrei herauslässt, »daß es ungerecht ist, und daß ich leben will, nichts weiter als leben, sei’s unter verrückten Schmerzen, aber auf dieser Welt sein …«. Immer wieder schimmert auch der Galgenhumor durch, den sie nur selten verliert: »Ach, zum Teufel mit Haltung, wenn du in der Hölle sitzt.«

Längst weiß man, wie stark auch die psychische Disposition - seelische Stärke oder Schwäche - den Krankheitsverlauf beeinflusst. Das hat Christa Wolf nicht zuletzt selbst erfahren und Jahre später in ihrem Buch »Leibhaftig« genau beschrieben. So erzählt sie in einem Antwortbrief an Brigitte Reimann auch vom krebskranken Alexander Solschenizyn, der überlebt hat und den erstaunten Ärzten entgegnet haben soll: Wer sonst hätte denn das schreiben sollen, was ich zu schreiben habe? So arbeitet auch Brigitte Reimann bis zuletzt an ihrem Roman »Franziska Linkerhand«, und dieser Schaffensprozess, im Wortsinne dem Tod abgetrotzt, bildet den Untertext des Austauschs über mehrere Jahre hinweg.

Die Neuausgabe, 80 Seiten umfangreicher, wird erweitert durch zum Teil unveröffentlichte Tagebuchauszüge beider Autorinnen. Besonders zu Herzen geht der letzte Besuch Christa Wolfs bei der todkranken Freundin auf der Krebsstation in Berlin-Buch, fünf Tage vor dem Ende, als wohl beiden schon klar ist, was kommen wird.

Brigitte Reimann, Christa Wolf: Sei gegrüßt und lebe. Eine Freundschaft in Briefen und Tagebüchern 1963-1973. Mit einem Vorwort von Gerhard Wolf. Hg. von Angela Drescher. Aufbau-Verlag. 270 S., geb., 21,95 €. Am 24. April, 13 Uhr, im Haus am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin, Münzenbergsaal: Lesung von Jennipher Antoni und Cornelia Schmaus, begleitet von Anna Margolina & Band.

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