Ätzende Markierung am Münster

Viele deutsche Städte haben gegen Wildpinkler zu kämpfen - Ulm zum Beispiel

  • Nico Pointner, Ulm
  • Lesedauer: 3 Min.
Gerade für historische Gebäude können sie zum Problem werden: die Wildpinkler. Am berühmten Ulmer Münster etwa sind die Folgen unübersehbar. Andernorts vergilt man nun Gleiches mit Gleichem.

Pfarrerin Tabea Frey blutet das Herz. »Von oben wird saniert, da werden Millionen ausgegeben, und von unten wird der Stein zerfressen«, sagt sie. »Ich hab da eine Wut im Bauch, wenn die Hemmschwellen so niedrig sind, dass man überhaupt keinen Respekt mehr hat.« Denn ihre Kirche, das Ulmer Münster mit dem größten Kirchturm der Welt, hat ein ziemlich ätzendes Problem: Wildpinkler. »Der Sandstein blättert richtig ab. Das sind Zentimeterschichten, die da verloren gehen.«

Sie schlagen meist zu, wenn es dunkel ist, sind häufig nicht mehr nüchtern - und hinterlassen einen folgenschweren feuchten Fleck an der Fassade. Dort in den seitlichen Nischen, wo im Mittelalter Krämerläden standen, entleeren Wildpinkler gerne und häufig ihre Blase. Da Urin Säure und Salze enthält, setzt er der Bausubstanz aus dem 14. Jahrhundert übel zu.

Viele Städte kämpfen gegen Wildpinkler. »Männer markieren«, sagt der Sprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen, Wolfgang Bühmann. Das sei ein rudimentäres Verhalten, das gerade unter Alkoholeinwirkung zutage trete. »Wenn einer ans Münster pinkelt, reichert sich dort Nitrat an und führt zu Absprengungen«, sagt Münsterbaumeister Michael Hilbert. »Jeder sieht die schwarzen Ecken, und wenn die Sonne rauskommt, stinkt's zum Teufel.« Dabei ist das Münster der Stolz der Ulmer.

Im Jahr 1377 wurde der erste Stein des monumentalen schwäbischen Bauwerks gesetzt. Am 31. Mai 1890, mehr als ein halbes Jahrtausend später, folgte dann der letzte Schliff - die Kreuzblume wurde auf den Turm aufgesetzt. Mit 161,53 Metern Höhe überragt das Münster zu Ulm seitdem alle anderen Kirchen des Christentums.

»Das ist nicht irgendwas, das ist das Münster, ein national bedeutendes Denkmal«, sagt Hilbert. Seit drei Jahren ist er nun Baumeister, schon rund ein Dutzend Wildpinkler habe er selbst gestellt an seiner Kirche. Dann behaupteten die Ertappten, sie seien inkontinent, erzählt er empört. Oder sie sind betrunken und werden aggressiv.

Wer wild pinkelt, dem droht ein Bußgeld. Und das kann deutlich über den paar Cent liegen, die für den Gang aufs öffentliche Klo zu zahlen wären. Die Stadt Ulm verdoppelt nun das Bußgeld von 50 auf 100 Euro. Der Ordnungsdienst überwacht zwar den Bereich, aber selten wird ein Pinkler ertappt. »Nicht jeder ist ein Hannoveraner Prinz und lässt sich auch erwischen«, sagt eine Sprecherin der Stadt.

Mancherorts wird deshalb bereits Gleiches mit Gleichem vergolten: Weil Betrunkene in Mainz immer wieder an die Rathauswand pinkeln, hat die Stadtverwaltung die Mauer mit einem Speziallack beschichten lassen. Der ist so wasserabweisend, dass der Urin daran abprallen und zurückgespritzt werden soll. Auf Hamburgs Partymeile St. Pauli wurden bereits vor gut einem Jahr Hauswände mit der sogenannten superhydrophoben Beschichtung versehen.

Am Münster funktioniert der Pinkellack aber nicht. »Die ganzen Anstriche der Industrie sind Quatsch«, sagt Münsterbaumeister Hilbert. Der Sandstein sei stark saugend, der Lack würde die Bausubstanz eher schädigen als schützen. Nach Ansicht von Pfarrerin Frey solle die Stadt dort lieber öffentliche Toiletten dauerhaft kostenfrei anbieten. »Das wäre für eine touristische Stadt wie Ulm angesagt«, sagt sie. Ob die Ulmer Wildpinkler trotzdem in den Himmel kommen? »Wir sind evangelische Kirche, die nicht mit Ewigkeitsstrafen droht.« dpa/nd

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