Kein akademisches Projekt

Die linke Rezensionsplattform »kritisch-lesen.de« feiert ihr fünfjähriges Jubiläum

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Offensichtlich haben Sie sich zum Jubiläum ein neues Webdesign gegönnt?

So ist es! Der Relaunch war längst überfällig. Wir haben in den letzten Jahren neue Formate einbezogen wie zum Beispiel Essays und Interviews oder die Kategorie »Wiedergelesen«, in der linke »Klassiker« aufbereitet werden. Das musste im Layout angepasst werden. Die alte Seite war auch nicht immer benutzerfreundlich. Die neue Seite zum Geburtstag einzuführen hat die ohnehin schon feierliche Stimmung abgerundet.

Zur Person: Andrea Strübe

Das Rezensionsportal »www.kritisch- lesen.de« ging vor fünf Jahren online.

Das sich als undogmatisch links verstehende Redaktionskollektiv möchte aktuelle Diskussionen begleiten und anregen. So soll eine Gegenöffentlichkeit zu herrschenden Positionen gefördert werden.

Anlässlich des Jubiläums sprach nd-Redakteur Guido Speckmann mit Andrea Strübe. Sie ist Redakteurin und Mitbegründerin von »kritisch-lesen.de« und lebt in Bremen. 
Foto: privat

»kritisch-lesen.de« versteht sich als undogmatisch links. Werden nur linke Bücher besprochen?

Nein, wir rezensieren nicht ausschließlich linke Publikationen. Es ist uns allerdings wichtig, dass wir »rechten« Autoren keine Werbe-Plattform bieten. Wir bewegen uns viel im Bereich populärer Literatur, vor allem, was Romane betrifft. Da wir aber ein linkes, dezidiert politisches Magazin sind, besprechen wir natürlich größtenteils linke Publikationen. Und wir rezensieren aus linker Perspektive. Es gibt dabei formale und inhaltliche Kriterien: Ist eine Publikation passend für den Schwerpunkt einer Ausgabe bzw. ist sie so aktuell und wichtig für die politische Debatte, dass sie außerhalb des Schwerpunkts bei den »Aktuellen Rezensionen« erscheinen kann? Wie schätzen wir die Debatte zum Thema ein, braucht es dazu diesen und jenen Beitrag oder läuft das ins Leere? Über die Auswahl setzen wir natürlich inhaltliche Schwerpunkte, aber ohne dabei nur eine Position zu lancieren. Auseinandersetzung zwischen den Positionen ist uns schon sehr wichtig, deshalb finden die auch Platz bei uns. Wobei wir in Sachen Pluralismus auch klare Grenzen ziehen, wenn wir Positionen nicht vertretbar finden. Und unsere Schwerpunkte decken an sich schon ein politisches Spektrum ab: Feminismus, Antifa, Imperialismus, Migration, Klassenthemen etc.

In Ihrer Selbstbeschreibung heißt es: »Es geht uns um Gegenöffentlichkeit, die Begleitung aktueller Diskussionen und direktes Handeln.« Was meint Letzteres?

Mit direktem Handeln meinen wir konkrete politische Praxis. Die ja auf verschiedene Weisen stattfinden kann. Wir sind da am ehesten für Wissenstransfer und Diskussion zuständig und bieten dafür ein Forum. Wir befinden uns sehr nah an verschiedenen Formen des politischen Aktivismus und unterstützen diese. Sei es, indem wir Veranstaltungen organisieren oder auf Aktionen, Soliaufrufe etc. aufmerksam machen. In den Texten geht es uns vor allem darum, direktes Handeln auch anzuregen, abzubilden und zu begleiten.

Zurzeit ist viel von »Lügenpresse« und vom Vertrauensverlust in die etablierten Medien die Rede. »Profitieren« Sie davon? Gibt es höhere Zugriffszahlen?

Steigende Zugriffszahlen haben wir tatsächlich. Ob das was mit der Rede über die »Lügenpresse« zu tun hat, ist schwer nachzuvollziehen und ich glaube auch nicht so richtig daran. Aber natürlich hat die Debatte enormes Potenzial: In dem mangelnden Vertrauen in die Medien zeigt sich der Wunsch nach Gegenöffentlichkeit. »Lügenpresse« ist die falsche Antwort auf eine ganz legitime Frage, nämlich die nach der Unabhängigkeit der Medien in der bürgerlichen Gesellschaft.

Leider öffnet sich hier gerade ein riesiger Raum für rechte Meinungsmache, dem müssen linke Publikationen entgegenwirken. Das greifen wir auch auf, im Herbst wollen wir eine Ausgabe und eine Veranstaltung zum Thema linke Medien und ihre Zukunft machen. Ich glaube, die wachsende Aufmerksamkeit für »kritisch-lesen.de« ist darauf zurückzuführen, dass wir mittlerweile etabliert sind, ernst genommen werden und auch aktiver in den sozialen Medien sind. Die Resonanz jenseits der Klickzahlen ist sehr positiv. Auch die stetig wachsende Zahl interessierter Autor_innen, die gerne für uns schreiben möchten, ist ein gutes Zeichen.

Sie wollen nicht nur Diskussionen begleiten, sondern den Zugang zu diesen erleichtern. Wie das?

Das ist schon immer eines unserer wichtigsten Anliegen, aber auch unsere größte Baustelle. Uns ist es wichtig, dass wir kein akademisches Projekt sind, in dem sich ausschließlich politisch affine Sozialwissenschaftler tummeln. Viel zu viele Debatten finden an Orten statt, zu denen viele Menschen, die es eigentlich betrifft, keinen Zugang haben. Das zu ändern ist aber nicht leicht.

Wir haben dafür unterschiedliche Konzepte. Es gibt beispielsweise das offene Autoren-Konzept, also die grundsätzliche Offenheit, dass jede und jeder für uns schreiben kann. In der Praxis zeigt sich aber natürlich, wer schreibaffiner ist und wer nicht. Dann haben wir uns über die Jahre einen Anti-Wissenschafts-Anspruch angeeignet, wir achten darauf, dass wir nur wenige wissenschaftliche Publikationen in einer Ausgabe unterbringen und vor allem, dass Rezensionen nicht akademisch verfasst sind. Und mit der Konzeption der Schwerpunktthemen, in denen auch Rezensionen älterer Publikationen untergebracht werden, bieten wir einen Überblick über Debatten. Damit sollen die Zugänge nicht nur Spezialistinnen und Spezialisten überlassen bleiben.

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