Ravensberg/Fürstenbrück
Eine fotografische Untersuchung des Gegensatzes zwischen dem Alltag im Touristenort und der KZ-Gedenkstätte
Vor 25 Jahren erregte der sogenannte Supermarkt-Skandal die Gemüter im ansonsten beschaulichen Fürstenberg, 80 Kilometer nördlich von Berlin. Kern des Eklats war die beabsichtigte Errichtung eines Supermarkts auf dem Gelände der benachbarten Gedenkstätte Ravensbrück. Der Bau wurde schließlich gestoppt. Fred Hüning, aus Schleswig-Holstein stammend, war zu jener Zeit Kriminalist bei der Zentralen Ermittlungsgruppe Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV), die die Betrügereien rund um die Wiedervereinigung aufklären sollte, und als solcher schon beruflich mit ostdeutschen Befindlichkeiten vertraut. Heute ist Hüning Fotograf, Absolvent der renommierten Ostkreuzschule für Fotografie, und arbeitet regelmäßig an sehr persönlichen Themen, die um Heimat, Familie und Identität kreisen. In Fürstenberg hat seine Familie ihre Datsche, und irgendwann hörte Hüning von dem seinerzeitigen Aufsehen, welches der geplante Supermarkt erregt hatte, und fing an, sich für das Verhältnis der Einwohner zu dem geschichtlichen Erbe vor ihrer Haustür zu interessieren. Als er vor einiger Zeit bestürzt die rechtsextreme »National-Zeitung« in einem Fürstenberger Geschäft liegen sah, reifte die Idee zu einer fotografischen Auseinandersetzung mit dieser Parallelität von Alltagsleben in Fürstenberg und den Abläufen, Gedenkfeiern, politischen Seminaren in Ravensbrück; dem Nebeneinander von Einheimischen, Freizeittouristen und Gedenkstättenbesuchern aus aller Welt.
Das Ergebnis dieser fotografischen Spurensuche sind die hier zu sehenden Bildkombinationen, die auf sehr assoziative Weise versuchen, das Leben im Spannungsfeld zwischen dem Touristenort »Wasserstadt Fürstenberg«, so der Marketing-Claim, und der vis-à-vis gelegenen KZ-Gedenkstätte Ravensbrück darzustellen. Die schicksalhafte Koexistenz der beiden Welten ist auch heute noch nicht konfliktfrei. Die Zunahme des Rechtsextremismus auch und gerade in Brandenburg hat zu einer Zunahme von Provokationen gegen die Gedenkstätte geführt. Die Mehrheit der Einheimischen steht dem Ort und der damit verbundenen Vergangenheit wenn nicht feindselig, dann auf jeden Fall gleichgültig gegenüber; bei Gedenk- oder anderen Veranstaltungen sind sie lediglich Zaungäste. Für sie ist die Geschichte ein Fluch, der über der Stadt lastet und der sie daran hindert, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen. Nichts erhoffen sich die braven Bürger mehr. Mit dem Unbehagen, welches Hünings Bilderpaare evozieren, schafft er es, das Selbstbild der Fürstenberger zu hinterfragen und die Schichten der Verdrängung freizulegen, so dass die Wunde wieder offen liegt.
Fred Hüning wurde in Kellinghusen in Norddeutschland geboren und war Kriminalpolizist, bis er als Autodidakt seine Leidenschaft für die Fotografie entdeckte.
2007 schloss er das Studium an der Ostkreuzschule für Fotografie mit einer Diplomarbeit mit dem Titel »einer« ab. Seitdem arbeitet er an freien Projekten, für die er zahlreiche Auszeichnungen erhielt.
Online: www.fredhuening.de
Für das Projekt »Ravensberg/Fürstenbrück« und seine bisherige künstlerische Leistung erhielt Fred Hüning vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur den Brandenburgischen Kunstförderpreis für Bildende Kunst 2016.
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