Reha ohne Unterschiede

Die DAK-Gesundheit und ver.di blickten auf das Thema Gesundheit und Migration

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Besonders in Rehabilitations-Einrichtungen sind diverse Zugangsbeschränkungen, kulturelle Unterschiede und ein höchst ungleicher Zugang zum bundesdeutschen Gesundheitssystem eindeutig zu spüren.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das ist den meisten Menschen hierzulande mittlerweile klar. Menschen aus vielen verschiedenen Ländern, mit verschiedenen kulturellen Hintergründen leben in Deutschland zusammen, werden zusammen alt, werden auch mal krank und müssen dann versorgt werden. Aber wie ist es um die Pflege und Gesundheitsversorgung von MigrantInnen oder Geflüchteten hierzulande bestellt?

Neu ist das Thema nicht. Unter dem Titel Gesundheit und Pflege stand der achte Integrationsgipfel am 17. November 2015 in Berlin. Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğus schrieb anlässlich des Gipfels, es fehle an wissenschaftlichen Studien, »die uns aufzeigen, an welchen Stellen die Teilhabe von Menschen mit Einwanderungsgeschichten an der medizinischen und pflegerischen Versorgung verbessert werden muss«.

Bekannt ist, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland schwerer Zugang beispielsweise zu Rehaprogrammen finden. In Deutschland leben derzeit rund 1,5 Millionen SeniorInnen mit Migrationshintergrund, Tendenz steigend, weil diejenigen, die einwandern, um hier zu leben und zu arbeiten, eben älter werden, wie alle anderen auch. Wie aber sieht eine kultursensible Pflege aus? Und wieso nehmen Menschen, die eine Einwanderungsgeschichte haben, ihnen zustehende Leistungen seltener in Anspruch? Um Antworten auf diese Fragen näher zu kommen, hatte ver.di in dieser Woche gemeinsam mit der Krankenkasse DAK-Gesundheit zum Symposium nach Berlin eingeladen. Wissenschaftler, Gewerkschafter und Praktiker diskutierten und tauschten sich aus.

Für sie sei es ein Anliegen, dass das Thema Gesundheit und Pflege weiter in den Fokus gerückt werde, sagte Eva Welskop-Deffaa am Rande der Veranstaltung. Das ver.di-Vorstandsmitglied ist zuständig für den Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, ihr Bereich hatte das Symposium organisiert. Wenn von Geflüchteten und Integration die Rede ist, gehe es meist um die Integration in den Arbeitsmarkt und kaum wahrnehmbar um die Gesundheit.

Bei ihrem Bundeskongress im Oktober 2015 hatte ver.di den Leitantrag »Arbeitsschutz und Rehabilitation - gleiche Zugänge für Migrantinnen/Migranten« beschlossen. Darin fordert die Gewerkschaft einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheit und Pflege und schlägt konkrete Schritte vor, wie das zu erreichen ist. Dazu gehört beispielsweise die Ausbildung von Menschen mit Migrationshintergrund als Mittler, »um Migrantinnen/Migranten passgenau über Rehaangebote und -ansprüche zu beraten und zu informieren«. Zu den Forderungen gehören auch regelmäßige Fortbildungen des Pflegepersonals zu Antirassismus, in Diversity Management oder die Vermittlung interkultureller Kompetenzen. Besonders bei Rehaprogrammen gibt es Verbesserungsbedarf.

Das zeigte auch Oliver Razum, seit 2012 Dekan der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Uni Bielefeld. Razum hat untersucht, wie es um den Zugang von Eingewanderten zum Gesundheitssystem bestellt ist. Ohne die Einwanderung von rund zehn Millionen Menschen seit 1955 wäre die Bundesrepublik ein »kleines, graueres, älteres Land«. »Umso trauriger, dass wir es nicht schaffen, alle gleichermaßen zu versorgen«, sagte Razum zu Beginn seines Vortrages. Der Bielefelder Professor forscht seit über 20 Jahren zum Thema Migration und Gesundheit. »Anfangs hatte ich das Gefühl, ich renne gegen Wände«, sagt er gegenüber »nd«, aber das sei besser geworden.

Seit einigen Jahren ist das Thema Migration auf der Agenda - mal prominenter wie im letzten Jahr als Aydan Özoğus es zu ihrem Schwerpunkt gemacht hatte, mal weniger. Aber wie sieht es mit der Gesundheit der Menschen mit Migrationshintergrund aus?

Oliver Razum stellte auf dem Symposium von ver.di und DAK seine letzten Forschungsergebnisse vor. Ein Beispiel für eine sehr positive Entwicklung sei bei der Schwangerenversorgung und Geburtsvorbereitung zu sehen. Die Müttersterblichkeit war bei migrantischen Frauen in den 1980er Jahren doppelt so hoch wie bei nicht-migrantischen. Heute sei kaum ein Unterschied mehr vorhanden. Der Wissenschaftler hob die Charité in Berlin als besonders positives Beispiel für gelungene Integration und gleichberechtigten Zugang zum Gesundheitssystem hervor. Von rund 8100 Geburten in den Jahren 2011 und 2012 hätten 57 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund. Frauen mit Migrationshintergrund nähmen die Vorsorge und Versorgung ebenso gut an wie Frauen ohne Migrationshintergrund, hätten weniger Risikoschwangerschaften und ein geringeres Risiko, eine Notsectio (Kaiserschnitt) in Anspruch nehmen zu müssen. Razums These: Frauen mit Migrationshintergrund werden in Städten mit hohem Migrationsanteil gleich gut erreicht wie Frauen ohne Migrationshintergrund.

Als Negativbeispiel nannte Razum die Rehabilitationsmedizin. MigrantInnen nehmen Rehaleistungen um 40 Prozent weniger in Anspruch als Nicht-MigrantInnen, und sie haben ein um 50 Prozent höheres Risiko, dass die Reha nicht erfolgreich ist. Als Erklärungsmöglichkeiten sieht Razum Verständigungsschwierigkeiten, kulturelle und Schichtunterschiede sowie auch die Einstellung des Personals. Razum weist hier auf »eine noch zu geringe interkulturelle Öffnung« hin. Es fehle an mehrsprachigem Personal.

An dem Punkt kommt die Gewerkschaft wieder ins Spiel. Es fehle eine tariflich geregelte Freistellung von Pflegepersonal zur Weiterbildung in interkultureller Kompetenz, sagte ver.di-Chef Frank Bsirske. Aktuell fehlen im Gesundheitsbereich über 160 000 Pflegekräfte. Neues Personal müsse dann auch und besonders aus mehrsprachigem Kontext sowie aus anderen Nationalitäten kommen. Ein Dorn im Auge ist ver.di einmal mehr das kirchliche Arbeitsrecht. Es stehe der Integration im Weg. Bsirske spricht von Diskriminierung, wenn Einrichtungen von Diakonie oder Caritas, die in einigen Gebieten eine Monopolstellung hätten, ausschließlich Kirchenmitglieder einstellen. Bei der zu pflegenden Bevölkerung haben schließlich die deutschen Christen ohne Migrationshintergrund auch keine Monopolstellung.

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