Was ist ein Parkplatz für Behinderte?

BVG in Karlsruhe kippt ein »Selbst Schuld«-Urteil

  • Dieter Hanisch, Ratzeburg
  • Lesedauer: 2 Min.

Es schon ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn ein Streit um einen Parkplatzunfall beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe landet. Die Entscheidung der Richter in dieser Sache wird denn auch wohl Präzedenzwirkung haben.

Ratzeburg in Schleswig-Holstein am 6. November 2009: Die querschnittsgelähmte Angelika Mincke stürzt beim Umsetzen von ihrem Pkw in den Rollstuhl auf einem mit holprigem Kopfsteinpflaster versehenen Behindertenparkplatz vor dem Rathaus der Stadt. Dabei zieht sie sich einen Bruch des Unterschenkels und Sprunggelenks zu. Nach einem Klinikaufenthalt ist die Frau noch vier Monate lang bettlägerig und von der Betreuung durch eine Pflegekraft abhängig.

Mit ihrer Schmerzensgeldklage gegen die Stadt war Angelika Mincke in den ersten Instanzen nicht erfolgreich. Das Landgericht argumentierte, dass eine Querschnittsgelähmte, die keine Schmerzen fühlen kann, auch kein Schmerzensgeld geltend machen könne. Diese Einschätzung hatte für Empörung gesorgt.

Das Oberlandesgericht in Schleswig wies dann 2013 Minckes Berufung nach den abschlägigen Urteilen der Vorinstanzen ohne mündliche Verhandlung zurück. Nicht etwa die offenkundig fehlende Barrierefreiheit eines ausgewiesenen Behindertenparkplatzes war im Fokus der schleswig-holsteinischen Richter. Sie befanden vielmehr, dass die Klägerin um die Beschaffenheit der Sonderstellfläche wissen musste und damit auch Kenntnis um daraus denkbar hervorgehenden Gefahren hatte.

Dieses »Selbst Schuld«-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht nun verworfen. Die Karlsruher Richter weisen das OLG in Schleswig darauf hin, dass alle bisher gegen Mincke ausgedrückten Vorhaltungen einer Mitschuld ein grundgesetzlich verbrieftes Benachteiligungsverbot tangieren. Höchstrichterlich wurde angeordnet, dass der Fall vor dem Oberlandesgericht in Schleswig neu verhandelt werden muss.

Der juristischen Beurteilung aus Karlsruhe wird nun generelle Bedeutung für die Anlegung und Gestaltung von Behindertenparkplätzen beigemessen. Die Hamburger Anwaltskanzlei »Menschen und Rechte«, welche Mincke vertritt, sieht in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes eine Stärkung für Menschen mit Behinderung in ihrem Alltag. Nun rückt für die kämpferische Rollstuhlfahrerin wieder das Grundrecht auf Mobilität unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention in den Fokus. Und eine Abschätzung, ob die Stadt Ratzeburg die Verkehrssicherungspflicht verletzt hat.

Da das Landgericht Lübeck der heute 58-jährigen Klägerin die Prozesskostenhilfe verwehrte, hat sie den Gang durch mehrere Instanzen bislang allein und mit Hilfe von Spenden finanziert. Mehrere tausend Euro an Kosten sind dabei bereits angefallen.

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