Kinshasa, Goma, New York
Flüchtlingsgeschichten wie ein riesiger Teig, aus dem sich der Film Geschichte, Handlungen und Figuren zu backen versucht: Matthias Dell über den Kölner Tatort: »Narben«
Der »Tatort« gilt in den Betrachtungen, die etwa zum bevorstehenden Jubiläum der 1000. Folge wieder über ihn geschrieben werden, mitunter als »Seismograf der deutschen Gesellschaft«. Wobei die spannende Frage ist, welche Eruptionen damit gemeint sind und wie diese gemessen werden.
Eine Erschütterung, die Handlung im beliebten ARD-Sonntagabendkrimi in näherer Zukunft noch öfter zurechtruckeln wird, dürften die Geschichten von massenhafter Flucht nach Europa sein, die spätestens seit dem vergangenen Jahr auf höchst unterschiedliche Weise Nachrichtenbilder prägen und politische Debatten bestimmen.
Im Februar hatte der Stuttgarter Fall »Im gelobten Land« das Geschleustwerden thematisiert. Aus Köln kommt nun mit »Narben« (Debüt als WDR-Redakteur: Götz Bolten) eine Geschichte, der eine gewisse Normalisierung anzumerken ist: im Reden über geflüchtete Menschen, in der Bezugnahme auf Orte wie das »Asylheim«, die den Bewegungen der Kommissare nicht äußerlich sind. Als Tribut an die Zeit seiner Entstehung zeigt der Film (Regie: Torsten C. Fischer) einmal stolz ehrenamtliche Helfer in einer kirchlichen Kleiderkammer vor, während der Dialog aus dem Off kommt wie bei einem Nachrichtenbeitrag.
Die Geschichte des ermordeten Arztes Patrick Wangila (Jerry Elliott), der, aus dem Kongo geflüchtet, sich im Verlaufe der Folge wie sein Bruder Theo (Jerry Kwarteng) als grausamer Täter dortiger Bürgerkriegsverbrechen erweist, bezieht ihre Inspiration vermutlich noch aus anderen Quellen als den aktuellen Migrationsbewegungen: aus Geschichten wie der von Ignace Murwanashyaka, der in Mannheim bürgerlich lebend Ende der nuller Jahre als Chef einer ruandischen Rebellengruppe festgenommen wurde.
Für einen Krimi sind solche Ambivalenzen (schützenswerter Flüchtling/brutaler Folterer) reizvoll, auch wenn sich schwerlich sagen lässt, dass »Narben« besonders geschickt mit seinem Stoff umgehen würde. Es ist eher so, dass man sich das politisch-gesellschaftliche Großthema (Flüchtlingsgeschichten und Bürgerkriegskongo) wie einen riesigen Teig vorstellen muss, aus dem sich der Film Geschichte, Handlungen und Figuren zu backen versucht.
Geht nicht richtig auf: Volker Muthmanns Heimleiter etwa ist weniger eine menschliche Figur als das Medium von Sätzen, die man aus abwägenden Zeitungsartikeln kennt. Da wäre man gern einmal beim Entstehungsprozess dabei, wie also entweder der Drehbuchautor (Rainer Butt) oder die Redaktionsbesprechung zum Erstauftritt der Figur kommen und denken: Lass uns nicht lange fackeln, Zeit ist knapp, dem hauen wir gleich mal ein paar Statements rein (»Leben Sie doch mal wie die, dann liegen bei Ihnen auch schnell die Nerven blank«).
Wenn sich Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Fab Five Freddy (Dietmar Bär) am Anfang wundern, wie wenig Gattin und Arztkollegin Schmuck vom Privatleben des toten Dr. Wangila wissen, dann beschreibt dieses Problem das des »Tatort« im Verhältnis zu seinen Figuren eigentlich recht genau: »Narben« hat mit seinem Personal nie persönlich, sondern immer nur dienstlich zu tun, als Träger von irgendwelchen angenommenen, gesellschaftlich verbreiteten Meinungen.
Dazu passt, dass die doch ziemlich interessante Besetzung - Anne Ratte-Polle als Gattin, Laura Tonke als Krankenschwester, Thelma Buabeng als Wangila-Opfer - ziemlich uninteressante Figuren spielen muss. Thelma Buabengs Cecile etwa ist so traumatisiert, dass es die Erfindung des Tonfilms für diesen Charakter nicht gebraucht hätte.
Immerhin kann man Butts Buch zugute halten, dass es bei allen unterreflektierten Bonmots, die es im Laufe der Geschichte so ausgibt (»Wenn's darum geht, die eigene Haut zu retten, sind Gutmenschen auch nur Menschen«), einen womöglich historischen Satz sagt: »Ist er denn rassistisch bedroht worden?«, fragen die Kommissare die Wangila-Gattin - was, wenn überhaupt, nicht oft vorgekommen sein dürfte im »Tatort«, dem Fernsehfavoriten einer Gesellschaft, die sich Konstruktionen wie »Ausländer-« oder »Fremdenfeindlichkeit« geschaffen hat, um über Rassismus nicht reden zu müssen.
Eine Behauptung, mit der man auf Stehpartys reüssieren kann:
»Ärzte, das ist nicht so meine Welt.«
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Den Streber lassen wir aber bitte zu Hause, ja.«
Die Antwort auf alle Fragen:
»Ja, nein, möglich.«
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