»Windanfälliger sind wir geworden«

Vor einem Jahr fegte ein Tornado durch Bötzow in Mecklenburg-Vorpommern - wie die Stadt die Folgen verkraftet

  • Hannes Stepputat, Bützow
  • Lesedauer: 3 Min.
In wenigen Minuten richtete der Tornado von Bützow Schäden in Millionenhöhe an. Beschädigt wurden denkmalgeschützte Bauten, Bürgerhäuser und städtische Gebäude. Was ist seitdem passiert?

Fast genau ein Jahr nach dem verheerenden Tornado vom 5. Mai 2015 mit Millionenschäden sind in Bützow die meisten Gebäude wieder hergerichtet. Auffallend viele Dachziegel glänzen neu. Wo noch Baugerüste stehen, werden hauptsächlich Fassadenarbeiten erledigt, sagt Bützows Bürgermeister Christian Grüschow (parteilos). Auf etwa 40 Millionen Euro schätzt er die Gebäudeschäden, die der Wirbelsturm innerhalb weniger Minuten anrichtete. Das meiste sei von Versicherungen abgedeckt worden, sagt er: »Im Großen und Ganzen hat das gut funktioniert. Die waren meist kulant.«

Ist in Bützow also wieder alles wie vor dem Tornado? Nicht ganz. Während die Schäden an den meisten Häusern zügig repariert werden konnten, ist der vernichtete Baumbestand kaum zu ersetzen. Insbesondere der Rosengarten sei schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, erklärt Grüschow. Die Sanierungsarbeiten sollen dort spätestens 2017 beginnen. Dazu startete die Stadt einen Ideenwettbewerb, der im vergangenen Monat abgeschlossen worden sei, erzählt Grüschow. Geplant sei der Wettbewerb ohnehin gewesen, doch nach dem Sturm habe man das Planungsgebiet ausgeweitet.

Der Bürgermeister schätzt, dass der Tornado einige Hundert Bäume umpeitschte, entwurzelte oder umknickte. Gemeindewehrführer Holger Gadinger meint gar: »Tausende Bäume sind kaputt.« Dies sei gar nicht wieder gut zu machen: »Wie lange wächst so ein Baum? 150, 200 Jahre?«

Ein Ladeninhaber aus der Bützower Altstadt berichtet: »Windanfällig sind wir geworden. Wenn es jetzt ein wenig stürmischer ist, haben wir hier in der Stadt ganz andere Windstärken.« Der Schutz der Bäume fehle. Er bittet bereitwillig in seinen Laden und auf den Hinterhof, zeigt Luftbilder von den Zerstörungen. Sein Laden habe Totalschaden gehabt und auch der Hinterhof, wo sich die Wohnung Familie befindet, sei verwüstet gewesen. Auf seiner Terrasse sei die Kraft des Windes so stark gewesen, dass selbst gemauerte und mit Beton ausgegossene Geländerpfeiler abgerissen wurden. Die Schäden seien alle von der Versicherung reguliert worden, er kenne nicht einmal den Gesamtschaden. Andere hätten nicht so viel Glück gehabt, erzählt er. Sie würden sich heute noch mit Versicherungen streiten.

Geholfen haben den Bützowern aber nicht nur Versicherungen, sondern auch zahlreiche Einzelpersonen, Vereine und Firmen, erzählt Bürgermeister Grüschow. 400 000 Euro hätten sie gespendet. Hinzu kommen noch einmal 210 000 Euro von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, um die stark in Mitleidenschaft gezogene Stiftskirche wieder herzurichten. Im Rahmen eines Soforthilfeprogramms stellte die SPD/CDU-Landesregierung direkt nach dem Sturm eine Million Euro zur Verfügung.

Etwas über die Hälfte sei für Verdienstausfälle der ehrenamtlichen Helfer ausgegeben worden, sagt Christian Grüschow. Die restliche Summe dürfe nun mit Zustimmung der Landesregierung für die Sanierung städtischer Gebäude genutzt werden. Bei diesen sei man mit der Schadensermittlung noch nicht ganz fertig, er schätzt die Summe jedoch auf etwa dreieinhalb Millionen Euro. Die Grundschule, das Grüne Klassenzimmer, das Rathaus - alle haben bei dem Unwetter etwas abbekommen.

Den viel gelobten Zusammenhalt der Bützower nach dem Sturm sieht Grüschow heute nicht mehr so stark. Kurz nach dem Tornado sei der Zusammenhalt noch »sehr stark spürbar« gewesen. »Negative Ereignisse schweißen ja auch zusammen«, erklärt er. Mit der Zeit aber habe sich der Effekt wieder abgeschwächt. »Vielleicht erinnert sich ja der eine oder andere daran und legt einen alten Nachbarschaftsstreit bei«, hofft der Bürgermeister. dpa/nd

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