Ein Kabinett für den toten Befreier
Im Leipziger Capa-Haus wird an ein berühmtes Kriegsfoto vom Frühjahr 1945 erinnert
Ein Mann in Uniform, der verrenkt in einer Balkontür liegt; eine Blutlache, die sich auf dem Parkett einer gutbürgerlichen Wohnung ausbreitet. Es ist ein bedrückender Anblick, auch wenn Robert Capa später von einem »sauberen Tod« sprach. Der Fotograf, der für die Agentur »Magnum« arbeitete und dessen Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg legendären Ruf genießen, schoss das Bild am 18. April 1945 bei der Befreiung Leipzigs durch US-Truppen. Der Sergeant Raymond J. Bowman wurde dabei von der Kugel eines Scharfschützen getroffen, während er an einem auf einem Balkon montierten Maschinengewehr den Vorstoß seiner Kameraden in die Innenstadt zu sichern suchte. Tage später erschien das Bild in der »Victory«-Ausgabe des Magazins LIFE. Titel: »Der letzte Tote des Krieges.«
Einige Seiten aus dem Heft, dazu gut ein Dutzend Abzüge weiterer Fotos, die Capa an jenem 18. April 1945 schoss, sind jetzt in einem kleinen Kabinett zwei Stockwerke unterhalb des Balkons zu sehen, auf dem Bowman starb. Genau 71 Jahre nach der Befreiung der Stadt und dem Tod des jungen Soldaten wurde in dem Haus in der Jahnallee 61 eine Ausstellung eröffnet, die an das Bild, den Fotografen und den toten Befreier erinnert. In einer Vitrine zu sehen ist auch ein Stück des Parketts, auf das einst Bowmans Blut floss; dazu der Stuhl, der in Capas Foto zu sehen ist.
Die Entstehung der Ausstellung ist ein kleines Wunder; noch mehr gilt das für den Umstand, dass sie im Haus gezeigt werden kann, in dem das Foto entstand. Denn im Jahr 2011 war das Gebäude nach einem Brand in der Silvesternacht faktisch eine Ruine, deren Abriss die Stadt bereits genehmigt hatte. Allerdings war kurz zuvor dessen historische Bedeutung bekannt geworden. Eine Bürgerinitiative warb für den Erhalt. Schließlich wurde mit der Firma LS Denkmal aus Bayern ein Investor gefunden, der das Ensemble mit seiner reizvollen Mischung aus Jugendstil und Barock sanierte. Pünktlich zum 70. Jahrestag der Befreiung war Richtfest; ein Jahr später sind die 42 Wohnungen wieder weitgehend bewohnt. In das Erdgeschoss zog außerdem ein Café ein, dessen Betreiber Thomas Eigler nicht nur die Tradition der in Leipzig legendären »Melodie-Bar« fortsetzt, sondern auch einen Raum für die Ausstellung über die Fotografie von Robert Capa zur Verfügung stellt.
Die Geschichten, die dort erzählt werden, waren bis zum 65. Jahrestag des Kriegsendes in Leipzig faktisch in Vergessenheit geraten. Erst die Bürgerinitiative, in der ein Kabarettist und eine Filmemacherin ebenso mitwirken wie ein Grafiker, ein Bestatter und der LINKE-Politiker Volker Külow, trug die historischen Details zusammen - und machte mit dem Ex-Soldaten Lehmann Riggs einen früheren Kameraden Bowmans ausfindig. Kontakt ergab sich auch zu Kurt Petzold, der als Kind in der Wohnung vom Foto lebte und den Stuhl aus Familienbesitz zur Verfügung stellte. Riggs war zur Eröffnung der Ausstellung kürzlich in Leipzig - und wurde Zeuge eines denkwürdigen Ereignisses: Die Straße vor dem Café wurde nach seinem toten Kameraden benannt. Robert Capa wird schon seit vorigem Jahr mit einem Straßennamen gewürdigt. Der Fotograf, der in Ungarn geboren wurde, ursprünglich André Friedmann hieß und 1954 in Vietnam starb, ist auch auf andere Weise mit Leipzig verbunden: Er war zeitweise mit der hier aufgewachsenen Fotografin Gerda Taro liiert.
Gewürdigt wird der Erinnerungsort bereits jetzt über Leipzig hinaus. US-Generalkonsul Scott Riedmann sprach kürzlich von einer »Stätte des Gedenkens und der Mahnung für den Frieden«. Es ist eine Intention, die auch Volker Külow teilt - der darauf hinweist, dass im Datum des 18. April 1945 die Grausamkeit des Krieges gebündelt aufscheint. Während Bowmann auf dem Balkon sein Leben verlor, ermordete die SS in einer Scheune in Abtnaundorf bei Leipzig 80 Zwangsarbeiter. Im Rathaus nahmen sich NS-Größen mit Gift das Leben. Und die Rote Armee kämpfte sich unter großen Verlusten über die Seelower Höhen in Richtung Berlin.
An diese Facetten könnte künftig bei Veranstaltungen in der Ausstellung erinnert werden; ebenso könnten andere berühmte Fotografen und Fotografinnen jener Jahre gewürdigt werden. Zudem sollen das Capa-Haus und der Gedenkort überregional bekannter gemacht werden, etwa durch die Aufnahme in Leipziger Reiseführer. Schon jetzt, sagt Thomas Eigler, »kommen Besucher eigens, um sich die Ausstellung anzusehen«. Handelt es sich bisher überwiegend um Leipziger und Interessenten aus anderen Teilen Deutschlands, so hofft Eigler, künftig auch die in Leipzig zahlreichen Touristen aus den USA auf den Erinnerungsort aufmerksam machen zu können. Sie könnten in der Jahnallee 61 viel Interessantes über Capa und Bowmann erfahren - und danach vorzüglichen Kuchen genießen.
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