Schnell und scharf und Zirkus
Johanna Schall inszenierte am Volkstheater Rostock Shakespeares »Hamlet«
Theater, das bedeutet: Es gibt keine Grenzen der Interpretation. Es gibt nur unterschiedliche Fähigkeiten im großen Reigen der Interpreten. Texte sind tot. Sie müssen belebt werden. Aber wie etwas beleben, das schon überstrapaziert ist? So viele alte Stücke, immer wieder im Repertoire - das sucht geradezu nach solchen Erlebnissen, die sich außerhalb des eingespielten Rituals der Rezeption stellen.
Zum Beispiel Shakespeares »Hamlet«. Das kulturelle Gedächtnis schlechthin. Das Stück der Stücke. Da darf man schon mal seufzen. »Wie machen wir, dass alles neu und mit Bedeutung auch gefällig sei?« Das ist keine Frage von Shakespeare, aber eine aus jenem zweiten Klassiker, der nicht minder auf den modernen Theatergeist drückt: »Faust«.
Am Volkstheater Rostock, im Theater im Stadthafen, hat Johanna Schall Shakespeares »Hamlet« inszeniert. Es ist ein End-Spiel geworden. Von der Überwältigung eines Menschen durch die Welt, und diese Welt ist Karriere, Lüge, Krieg ... das gesamte Programm. Bekanntes Stück, bekannte Lage, zugenommen hat nur die Traurigkeit, die Leere, das Misstrauen auch in den Aufstand des poetischen Bedenkens.
Ein bühnenbreites Tor (Bühne: Mike Hahne) trennt Innen- und Außenwelt. Wer in den Palast geht, bedient den running gag: Er stolpert über die Schwelle. Ein Postkurier mit Umhängetasche und Radfahrerhose kommt regelmäßig, als Bote, über die lange Schräge gestürmt, die sich durch den Zuschauerraum zieht.
Sein oder nicht sein. Das wird hier gleich zu Beginn absolviert. Was weg ist, ist weg. Das ist ein Befreiungsschlag. Bildungsgut-Entsorgung. Später wird Ophelia den Monolog der Monologe wiederholen. Ein paar Fetzen davon. Damit wird, auch auf diese Weise, eine Generationen-Einheit bekräftigt: Hamlet und Ophelia (Johannes Quester und Claudia Graue) sind, auch wenn sie einander verlieren, die gemeinsam Überforderten, die Ausgestoßenen, die Verrücktwerdenden, die Unglückstobenden, die Amok-Anrenner. Anrennend gegen ein Nichts aus weiteren Shakespeare-Gestalten, die hier, vom Claudius (Eugen Krößner) bis zu Gertrud (Sandra Uma-Schmitz), von Polonius (Siegfried Kadow) bis zu Horatio (Florian Rummel), nur eine charakterlose Landschaft der blassen Dramaturgie-Funktionäre ergeben. Krößner spielt auch den Geist von Hamlets edlem Vater, der geht durch die Wand und hat also das - etwas verfremdete - Gesicht seines Mörders Claudius. Ende eines guten gespenstischen Leumunds.
Johannes Quester: ein Hamlet der unaufhörlichen Explosivkraft. Er spielt den großen Schwund, der den Körper vom Geist löst. Dieser Schwund ergreift zuerst die Anziehungskraft, die vom Leben ausgeht. Oder vom Stück Shakespeares. Quester gibt einen Prinzen, für den es keine Zeit mehr gibt, in welcher er Texte, die er spricht, verstehen könnte. Er übersetzt sich alles Leiden, all den schwer umtrauerten Zwang zum Zögern in ein dauerclowneskes Tempo, in dem alles Tiefe, Suchende verdampft. So ist die verzweifelte Zärtlichkeit zu den Dingen nur noch Ausfluss einer allumfassenden Liebe zur Oberfläche. Über die man hemmungslos wegwischen, auf der man wegflitzen kann; hier hat ein grausig tänzerischer Zynismus seinen Ort, der aus allem nur noch einen verkrümmten, verfluchten Witz macht. So, als träfe Doktor Caligari den frühen Kinski. Oder Thomas Manns Cipolla.
Bei dem, was Quester in faszinierender Artistik, in hemmungsloser Wildheit auf die Bühne wuchtet, muss Hamlet nicht drum flehen, das feste Fleisch möge schmelzen. Das Fleisch ist hier Springquell von Beginn an. So, als wolle das Ruppige nichts weiter als rappen. Dieser Hamlet zerlacht die Welt scheppernd. Aber bevor er lacht, windet sich der Körper, als wolle er sich übergeben. Hamlet kotzt höhnisch grelles, bellendes, belferndes Gelächter.
Claudia Graues Ophelia trägt schöne bunte Stiefel und hat eine charmant scheue Natürlichkeit. Wenn sie der Wahn trifft, wird sie ihr Brüllen in ein hämmerndes englisches Singen wenden. Der Tod, Hamlets Kampf mit Laertes, die Vergifterei, das alles ist rasend schneller, gefühlskalter, absehbarer Vollzug eines Weltgerichts, das keine Lyrik kennt, keine Tränen, kein Gewissen, keine Vergebung, und die Schönheit der Texte ist ein ungerührtes Verlautbaren des Unabänderlichen: dass Politik Technik ist und nicht Moral. Und so erscheint Norweger Fortinbras bei Johanna Schall nicht als jemand, der Ehre wiederherstellt, er ist des Krieges räudiger Disco-Dandy, dessen gigantische rote Schleppe von Gier, Übermut, Verschwendung erzählt.
Die Regisseurin Schall hat einen Nerv fürs Groteske, für die Distanz. Damit hat sie es zwar diesmal nicht geschafft, ein ganzes Stück zu packen, aber Quester und Graue bieten Schauspiel, das bannt und mit Wundheit verwundert. Stark ist die Inszenierung dort, wo sie, wie Hamlet selber, schnell und scharf und Zirkus sein darf, etwa bei der Totengräberszene. Peter Elter und Andreas Köhler (beide auch Rosencrantz und Guildenstern) im Totenschädelspiel: Wir leben nach wie vor in den alten Zeiten, die uns im Zwittergefühl von bibbernder Erregung und wohligem Erschrecken schon immer den hohlen Kopfknochen herüberreichten. Der Aufruf des Makabren als Beschwörung der eigenen Unantastbarkeit. »Hurra, wir leben noch!« schrie es auch aus jedem soldatischem Erinnerungsfoto aus Afghanistan. Die Fotos erinnerten vor allem daran, dass Krieg auch dort, wo er noch wie Frieden aussieht, schon Krieg ist. Shakespeares Szene erzählt, dass Leben vor allem eines ist: Bewegung hin zum Sterben.
»Der Rest ist ...« Mir schien, Hamlet sagt nicht mal mehr »Schweigen«. Jedes Wort erübrigt sich. Die großen Worte sowieso. ...
Zum Beispiel Shakespeares »Hamlet«. Das kulturelle Gedächtnis schlechthin. Das Stück der Stücke. Da darf man schon mal seufzen. »Wie machen wir, dass alles neu und mit Bedeutung auch gefällig sei?« Das ist keine Frage von Shakespeare, aber eine aus jenem zweiten Klassiker, der nicht minder auf den modernen Theatergeist drückt: »Faust«.
Am Volkstheater Rostock, im Theater im Stadthafen, hat Johanna Schall Shakespeares »Hamlet« inszeniert. Es ist ein End-Spiel geworden. Von der Überwältigung eines Menschen durch die Welt, und diese Welt ist Karriere, Lüge, Krieg ... das gesamte Programm. Bekanntes Stück, bekannte Lage, zugenommen hat nur die Traurigkeit, die Leere, das Misstrauen auch in den Aufstand des poetischen Bedenkens.
Ein bühnenbreites Tor (Bühne: Mike Hahne) trennt Innen- und Außenwelt. Wer in den Palast geht, bedient den running gag: Er stolpert über die Schwelle. Ein Postkurier mit Umhängetasche und Radfahrerhose kommt regelmäßig, als Bote, über die lange Schräge gestürmt, die sich durch den Zuschauerraum zieht.
Sein oder nicht sein. Das wird hier gleich zu Beginn absolviert. Was weg ist, ist weg. Das ist ein Befreiungsschlag. Bildungsgut-Entsorgung. Später wird Ophelia den Monolog der Monologe wiederholen. Ein paar Fetzen davon. Damit wird, auch auf diese Weise, eine Generationen-Einheit bekräftigt: Hamlet und Ophelia (Johannes Quester und Claudia Graue) sind, auch wenn sie einander verlieren, die gemeinsam Überforderten, die Ausgestoßenen, die Verrücktwerdenden, die Unglückstobenden, die Amok-Anrenner. Anrennend gegen ein Nichts aus weiteren Shakespeare-Gestalten, die hier, vom Claudius (Eugen Krößner) bis zu Gertrud (Sandra Uma-Schmitz), von Polonius (Siegfried Kadow) bis zu Horatio (Florian Rummel), nur eine charakterlose Landschaft der blassen Dramaturgie-Funktionäre ergeben. Krößner spielt auch den Geist von Hamlets edlem Vater, der geht durch die Wand und hat also das - etwas verfremdete - Gesicht seines Mörders Claudius. Ende eines guten gespenstischen Leumunds.
Johannes Quester: ein Hamlet der unaufhörlichen Explosivkraft. Er spielt den großen Schwund, der den Körper vom Geist löst. Dieser Schwund ergreift zuerst die Anziehungskraft, die vom Leben ausgeht. Oder vom Stück Shakespeares. Quester gibt einen Prinzen, für den es keine Zeit mehr gibt, in welcher er Texte, die er spricht, verstehen könnte. Er übersetzt sich alles Leiden, all den schwer umtrauerten Zwang zum Zögern in ein dauerclowneskes Tempo, in dem alles Tiefe, Suchende verdampft. So ist die verzweifelte Zärtlichkeit zu den Dingen nur noch Ausfluss einer allumfassenden Liebe zur Oberfläche. Über die man hemmungslos wegwischen, auf der man wegflitzen kann; hier hat ein grausig tänzerischer Zynismus seinen Ort, der aus allem nur noch einen verkrümmten, verfluchten Witz macht. So, als träfe Doktor Caligari den frühen Kinski. Oder Thomas Manns Cipolla.
Bei dem, was Quester in faszinierender Artistik, in hemmungsloser Wildheit auf die Bühne wuchtet, muss Hamlet nicht drum flehen, das feste Fleisch möge schmelzen. Das Fleisch ist hier Springquell von Beginn an. So, als wolle das Ruppige nichts weiter als rappen. Dieser Hamlet zerlacht die Welt scheppernd. Aber bevor er lacht, windet sich der Körper, als wolle er sich übergeben. Hamlet kotzt höhnisch grelles, bellendes, belferndes Gelächter.
Claudia Graues Ophelia trägt schöne bunte Stiefel und hat eine charmant scheue Natürlichkeit. Wenn sie der Wahn trifft, wird sie ihr Brüllen in ein hämmerndes englisches Singen wenden. Der Tod, Hamlets Kampf mit Laertes, die Vergifterei, das alles ist rasend schneller, gefühlskalter, absehbarer Vollzug eines Weltgerichts, das keine Lyrik kennt, keine Tränen, kein Gewissen, keine Vergebung, und die Schönheit der Texte ist ein ungerührtes Verlautbaren des Unabänderlichen: dass Politik Technik ist und nicht Moral. Und so erscheint Norweger Fortinbras bei Johanna Schall nicht als jemand, der Ehre wiederherstellt, er ist des Krieges räudiger Disco-Dandy, dessen gigantische rote Schleppe von Gier, Übermut, Verschwendung erzählt.
Die Regisseurin Schall hat einen Nerv fürs Groteske, für die Distanz. Damit hat sie es zwar diesmal nicht geschafft, ein ganzes Stück zu packen, aber Quester und Graue bieten Schauspiel, das bannt und mit Wundheit verwundert. Stark ist die Inszenierung dort, wo sie, wie Hamlet selber, schnell und scharf und Zirkus sein darf, etwa bei der Totengräberszene. Peter Elter und Andreas Köhler (beide auch Rosencrantz und Guildenstern) im Totenschädelspiel: Wir leben nach wie vor in den alten Zeiten, die uns im Zwittergefühl von bibbernder Erregung und wohligem Erschrecken schon immer den hohlen Kopfknochen herüberreichten. Der Aufruf des Makabren als Beschwörung der eigenen Unantastbarkeit. »Hurra, wir leben noch!« schrie es auch aus jedem soldatischem Erinnerungsfoto aus Afghanistan. Die Fotos erinnerten vor allem daran, dass Krieg auch dort, wo er noch wie Frieden aussieht, schon Krieg ist. Shakespeares Szene erzählt, dass Leben vor allem eines ist: Bewegung hin zum Sterben.
»Der Rest ist ...« Mir schien, Hamlet sagt nicht mal mehr »Schweigen«. Jedes Wort erübrigt sich. Die großen Worte sowieso. ...
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