Tiefe Gräben treibt die Kohle
Das sorbische Dorf Proschim könnte noch dem Braunkohletagebau Welzow-Süd II zum Opfer fallen
Es ist ein schöner Tag in Proschim. Die Sonne scheint, die Bäume blühen. Mal kräht ein Hahn. Doch die Stimmung in dem kleinen Dorf in der Lausitz ist gedrückt. So wie es früher einmal war, werde es nicht mehr werden, sagt eine alte Einwohnerin, die ihren Namen lieber nicht sagen will. Zu sehr haben die Braunkohlebagger schon eine Schneise in die Dorfgemeinschaft getrieben. »Für jedes Haus ist es eine andere Situation«, meint die Frau.
Geht es nämlich nach der brandenburgischen Landesregierung, soll Proschim der Braunkohle weichen. Auf der einen Seite des Dorfes stehen nun diejenigen, die hier bleiben wollen und gegen die Erweiterung des Tagebaus Welzow-Süd kämpfen. Auf der anderen Seite stehen die Menschen, die eine Entschädigung annehmen und sich woanders eine neue Zukunft aufbauen wollen. Die Gräben zwischen den beiden Fraktionen sind tief. Manchmal ziehen sie sich sogar durch Familien, erzählt man.
Die Braunkohlegegner sind Menschen wie Erhard Lehmann und Hannelore Wodke. Beide Rentner sind in der Wählerinitiative Grüne Zukunft Welzow und der CDU aktiv. Lehmann schuftete einst selbst im nahen Tagebau, war von 1990 bis 2008 Bürgermeister und Ortsvorsteher von Proschim. Wodke betont, nicht selbst in dem kleinen Dorf zu wohnen, sondern in der Stadt Welzow, in das Proschim seit 2003 eingemeindet ist. Doch auch sie ist von der Braunkohle betroffen: Keine 400 Meter entfernt wohnt sie von dem Tagebau. Wenn der Abraumbagger nah ist, dann ist es auch nachts laut in ihrer Wohnung.
Wodke und Lehmann sitzen im Kulturzentrum des sorbischen Dorfes. Sie hat selbstgebackene Kirsch-Baiser-Torte und zwei Ausgaben der Zeitschrift »Formfrei«, mitgebracht. »Das ist unsere ›Kampfzeitung‹, in der die Bürger von Welzow und Umgebung ihre Meinung sagen dürfen«, meint die rüstige Rentnerin, die ein kleines, gelbes Martinskreuz als Zeichen des Widerstandes am Revers ihrer Jacke trägt. »Man will den Ort tot machen«, platzt es aus Lehmann heraus.
Seit dem 19. Jahrhundert wird rund um Welzow Braunkohle gefördert. 17 Dörfer mussten deswegen seit den 1960er Jahren weichen. Proschim könnte das 18. sein. Schon einmal sollte es verschwinden. Doch dann kam die Wende. Mitte der 2000er Jahre kam dann die Diskussion über Welzow-Süd II, die Erweiterung des bereits bestehenden Tagebaus, auf, in deren Bereich Proschim liegt. Seitdem ist der Streit unter den Dorfbewohnern entflammt. Und im August 2014 stimmte die rot-rote Landesregierung unter Dietmar Woidke (SPD) der Erweiterung zu. Ursprünglich sollten damit von 2027 bis 2042 rund 200 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden.
Doch der Betreiber des Tagebaus, der Energiekonzern Vattenfall, will seine deutsche Braunkohlesparte los werden. Wegen der auf Grund der Energiewende gefallenen Börsenstrompreise ist die fossile Energiegewinnung unwirtschaftlich geworden. Zudem nagt die klimaschädliche Braunkohle am Image des schwedischen Staatskonzerns. Ein Käufer ist bereits gefunden. Im April einigte sich Vattenfall mit der tschechischen Energie- und Industrieholding EPH, der bereits die Mitteldeutsche Braunkohle AG (Mibrag) mit Sitz in Zeitz (Sachsen-Anhalt) gehört. Dem Verkauf müssen allerdings noch die schwedische Regierung und das Bundeskartellamt zustimmen.
Auch nach der Verkündung des vorläufigen Deals steht Potsdam hinter der Braunkohle. »Es ist eine gute Nachricht für die ganze Lausitz, weil vom Bergbau auch viele Dienstleister und Zulieferer abhängen«, sagte Woidke nach der Einigung zwischen Vattenfall und EPH. Ihm zufolge hängen direkt und indirekt über 20 000 Jobs in der Region an der Kohle.
Solche Zahlen bezweifeln Braunkohlegegner wie Lehmann und Wodke. Unterstützung bekommen sie dieser Tage von Umweltschützern aus ganz Deutschland: Das Lausitzer Klimacamp steht wieder an, und Aktivisten von »Ende Gelände« wollen zeitgleich Tagebaue in der Region blockieren. »Die sollen mal zeigen, wohin die Reise geht«, meint Wodke. Und Lehmann fügt an, dass es längst nicht mehr nur um die Lausitz gehe. Weil auf Grund der Verfeuerung der Kohle die Temperaturen steigen, würde die Heimat von vielen Menschen auf der ganzen Welt zerstört.
Ralf Paulo indes würde, wenn die Kohlebagger tatsächlich noch kommen, notfalls aus Proschim wegziehen. Leicht würde ihm dies nicht fallen, erzählt er, denn er wohnt im Elternhaus, in das er in den letzten Jahren viel investiert hat. Doch er würde es machen. Für Kohlegegner wie Lehmann und Wodke gehört er deswegen schon zu den Befürwortern im Dorf. »Doch die, die das behaupten, haben sich nicht mit mir unterhalten«, meint der Behindertensporttrainer. So aufgeheizt sei schon die Stimmung im Dorf. »Zu manchen Veranstaltungen gehe ich deshalb gar nicht mehr hin«, sagt Paulo. Den Kohlegegnern wirft er vor, jegliche Einigung auf eine Entschädigung mit Vattenfall blockiert zu haben, für den Fall dass die Bagger kommen. »Ich befürchte nämlich, dass wir unter EPH mit nicht so guten Bedingungen wie bei Vattenfall umgesiedelt werden«, meint Paulo. Deswegen hofft er nun, dass Welzow-Süd II gar nicht mehr kommt und die Politiker nicht weiter den Strukturwandel verschlafen.
Jemand, der den nötigen Strukturwandel nach Proschim bringen will, ist Matti Nedoma. Es gebe ein Sprichwort in der Gegend, erzählt er: »Der Gott hat die Lausitz geschaffen und der Teufel die Kohle drunter gelegt.« Nedoma arbeitet bei der Rösch Gruppe. 85 Arbeitsplätze im Dorf bietet das mittelständische Unternehmen, das Landwirtschaft betreibt und Strom aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt. »Wir erzeugen sauberen Strom für mittlerweile mehr als 5000 Menschen«, sagt Nedoma. Die Braunkohle sei für das Unternehmen existenzbedrohend.
»Man muss jetzt zusammen mit den Beschäftigten in der Kohleindustrie einen geordneten Ausstieg aus der Braunkohle gestalten, damit auch diese Menschen nicht ihre Existenz verlieren, weil sie arbeitslos werden«, sagt Nedoma. Denn auch mit EPH als möglichen neuen Eigentümer würde das Aus für die Braunkohle bald kommen, glaubt das Linksparteimitglied Nedoma. Doch vom brandenburgischen Landesverband hält er nicht viel. Dieser habe sich in der Regierung zu sehr der SPD angebiedert.
Fährt man die Hauptstraße, an der die Firmenzentrale der Rösch Gruppe liegt, aus dem Dorf heraus, dann kommt man an einen Ort, der zeigt, wie düster Proschims Zukunft sein könnte, wenn die Braunkohlegegner verlieren. Es ist Haidemühl. Die Bevölkerung wurde vor zehn Jahren für die Kohle umgesiedelt. Seitdem verrotten dort die leerstehenden Häuser.
Dabei gab es für einige Proschimer bereits genügend Gründe, das Dorf zu verlassen. Und es sind nicht nur die Jungen, die ihm den Rücken kehren. »Hier hast du ja nichts«, erzählt eine ältere Frau, die mit dem Fahrrad aus Welzow vorbei gekommen ist, um eine Freundin zu besuchen. Früher habe sie zur Miete in Proschim gewohnt. »Ich gehörte zu den Habenichtsen, wie man sagt«, erzählt sie, nun sei sie in Welzow glücklich. Dort habe sie Sparkasse und Supermärkte gleich um die Ecke. Keines davon gibt es in Proschim. Denn seitdem über dem Dorf das Damoklesschwert der Braunkohle schwebt, wird hier nicht mehr investiert.
Zumindest Erhard Lehmann hofft, dass es wieder besser wird, wenn die Kohle endlich verschwunden ist. »Es war ein wunderbares Dorfleben«, sagt er und erinnert sich an die schönen Feste die man zusammen in Proschim gefeiert hat – bevor die Kohle das Dorf gespalten hat.
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