Massenhochzeit als Protest
Immer öfter setzen Inder ein Zeichen gegen Kinderhochzeiten und teure Mitgift
Der Bräutigam kommt nicht auf einem Pferd, sondern auf einem Kamel. Er trägt dunkle Kleidung und einen bunt geschmückten Turban. Und er ist nicht alleine. Mehr als 100 angehende Ehemänner haben sich zum Beispiel vor kurzem an einem Tag gemeinsam in ihre Hochzeitskleidung geworfen. Bei einer gigantischen Massenhochzeit finden sich in der Nähe der indischen Stadt Bhopal Tausende zusammen.
Auf allen auffindbaren Autos, Kleinlastern und sonstigen Ladeflächen lassen sie sich zu einer großen Rasenfläche fahren, auf der die Zeremonie stattfindet. Nur die Bräutigame kommen auf dem Kamel. Weil es nicht genug gibt, sitzen auf einem Tier meist zwei oder drei.
Die ausgelassene Feier hat einen ernsten Hintergrund. »Eine Massenhochzeit ist auch ein politisches Statement«, sagt Shaitan Singh, der seit 35 Jahren solche Veranstaltungen im Bundesstaat Madhya Pradesh organisiert. »Wir wollen damit ein Zeichen setzen gegen Kinderhochzeiten, exorbitante Kosten und zu teure Mitgift.«
Insbesondere für junge Frauen sind diese Dinge vor allem im ländlichen Indien auch heute noch ein Problem. In der oft noch sehr patriarchalisch geprägten Gesellschaft bedeutet eine Tochter für Familien ein finanzielles Risiko. Eine frühe Hochzeit reduziert dies. Dafür nehmen viele Familien sogar in Kauf, ihre Tochter noch minderjährig zu verheiraten und sich für die Mitgift zu überschulden.
»Bei einer Massenhochzeit müssen die Eltern der Braut viel weniger fürs Fest bezahlen«, erklärt Singh. »Außerdem werden weniger Gesetze gebrochen, wenn alles öffentlich stattfindet.« Denn sowohl die Aussteuer als auch die Hochzeit Minderjähriger sind in Indien eigentlich verboten.
Die Frauenrechtlerin Ranjana Kumari, Direktorin der indischen Nichtregierungsorganisation Centre for Social Research, sieht die Massenhochzeiten kritisch. »Die öffentlichen Feiern können durchaus dafür sorgen, dass das Alter des Brautpaares besser überprüft wird und auch eine zu hohe Brautausstattung verhindern«, sagt sie. »Trotzdem fehlt mir ein entscheidender Aspekt: Die jungen Paare werden noch immer zu 90 Prozent arrangiert. Daran haben auch die Massenhochzeiten nichts geändert.«
Auf politischer Seite beschäftigt sich in Madhya Pradesh auch Gopal Bhargava mit dem Thema. Er ist dort Minister für ländliche Entwicklung und hat nach eigener Aussage seit dem Jahr 2001 für mehr als 15 000 Paare Massenhochzeiten organisiert. Vor zwei Jahren seien sein eigener Sohn und seine eigene Tochter unter den Getrauten gewesen, sagt er.
Bhargava hat ein staatliches Hilfsprogramm gestartet, das Massenhochzeiten unterstützt. Umgerechnet rund 330 Euro erhält jede Braut aus einer nachweislich armen Familie, wenn sie sich auf diese Weise verheiraten lässt. In Madhya Pradesh liegt das Bruttosozialprodukt pro Kopf bei weniger als 1000 Euro im Jahr.
Auf der Hochzeitsfeier erreichen die Bräute die Festwiese erst nach ihren zukünftigen Männern, begleitet von einer riesigen Schar Feiernder und in farbenfrohen Festkleidern. Ihre Gesichter sind verhüllt. Ihre Ehemänner dürfen ihnen erst zu Hause in die Augen schauen, wenn die eigentliche Hochzeit schon vorüber ist. dpa/nd
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