Absichtserklärung ist rechtlich ein Vertrag
Initiative von Flüchtlingsunterstützern »Kreuzberg hilft« stellt Gutachten über Qualität in Notunterkünften vor
Fast ein Jahr ist es mittlerweile her, dass zum ersten Mal mehr als 1000 Flüchtlinge pro Tag nach Berlin kamen. Ad hoc wurden Notunterkünfte eingerichtet. Doch noch immer haben die meisten Betreiber keine Verträge mit dem Land Berlin abgeschlossen. Für sie gelten reine Absichtserklärungen, bestimmte Standards einzuhalten und irgendwann einen Vertrag zu erhalten. Ein Rechtsgutachten kommt nun zu dem Schluss, dass diese Absichtserklärungen rechtlich mit Verträgen gleichzusetzen sind. In der Praxis bedeutet das, dass für Notunterkünfte die gleichen Standards und Qualitätsanforderungen wie für vertragsgebundene Gemeinschaftsunterkünfte gelten.
In Auftrag gegeben hatte das Gutachten die Initiative von Flüchtlingsunterstützern »Kreuzberg hilft«. Die hatte in den vergangenen Monaten immer wieder schlechtes Essen, mangelnde Hygiene und fehlende Privatsphäre in zwei Notunterkünften in Kreuzberg kritisiert. Der Betreiber »Akzente« hatte daraufhin ein pauschales Hausverbot gegenüber allen Mitgliedern ausgesprochen.
»Der Betreiber sagt, für ihn gelten die Qualitätsstandards nicht, weil er keinen Vertrag unterschrieben habe. Das LAGeSo sagt, es könne nicht auf die Einhaltung der Qualitätsstandards drängen, weil der Betreiber keinen Vertrag unterschrieben habe«, erklärte Marie von »Kreuzberg hilft« dem »nd«. »Betreiber und LAGeSo stehlen sich so beide aus der Verantwortung.« Dem Gutachten zufolge ist es rechtlich gesehen aber falsch, sich auf fehlende Verträge zu berufen: »Die Absichtserklärung konkretisiert die Leistungsbeschreibung des Interessenbekundungsverfahrens auf ein konkretes Objekt«, heißt es darin. Wird also ein Betreiber beauftragt, dann einigen sich beide Parteien auf die in der Ausschreibung genannten Leistungen. Die sind geltend. Zudem bedürfe ein Betreibervertrag nicht der Schriftform, er könne auch »durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden«, ergänzt das Gutachten. Ein solches sei die Aufnahme des Betriebs. Damit gebe das LAGeSo die Verantwortung aber noch nicht ab. Da der Betreiber letztlich nur Verwaltungshilfe leiste, müsse die Verwaltung »dafür sorgen, dass die Ausführung so erfolgt, als würde sie die Aufgabe selbst durchführen.«
Aus dieser Verwaltungshilfe ergibt sich der Kanzlei Dombert Rechtsanwälte zufolge auch, dass das Hausrecht letzten Endes beim LAGeSo liegt. Für »Kreuzberg hilft« bedeutet das: »Bevor ein Hausverbot ausgesprochen wird, müsste sich der Betreiber die Genehmigung vom LAGeSo einholen«, so Marie. Das werde aber nicht praktiziert.
»Das Hausrecht wird den Betreibern mit dem Betrieb übertragen«, sagt dazu Sascha Langenbach, Sprecher der Gesundheitssenatsverwaltung. Das sieht auch Michael Heinisch so, Vorstandsvorsitzender der SozDia Stiftung Berlin, die eine Notunterkunft in der Treskowallee betreibt. »Mir scheint das Problem eher bei der Betreiberauswahl zu liegen«, sagte er dem »nd«. Sicherheitsfirmen dürften keine Flüchtlingsunterkünfte betreiben. Fehlende Qualifikationen von Mitarbeitern löse man nicht, indem man den Betreibern das Hausrecht entziehe. Seinen Angaben zufolge hat die SozDia Ehrenamtlichen nie Hausverbot erteilt, insgesamt aber fünf bis zehn Bewohnern, etwa wenn diese wiederholt gewalttätig geworden seien. »Jedem Hausverbot geht aber ein langwieriges Verfahren voraus.«
Viele oft private Betreiber sind wesentlich großzügiger im Austeilen von Hausverboten. In Kreuzberg hat dies zu einem Schlichtungsverfahren geführt. Flüchtlingsstaatssekretär Dieter Glietsch vermittelte zwischen dem Betreiber »Akzente« und der Initiative »Kreuzberg hilft«. Die Parteien einigten sich darauf, dass Kritik von Ehrenamtlichen ausgesprochen werden dürfe und Hausverbote schriftlich begründet werden müssen. Bis auf eine Person haben alle Ehrenamtlichen nun wieder Zugang zu den Heimen. »Jetzt gilt es, wieder Vertrauen zueinander aufzubauen«, sagt Marie.
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