Endgültig vergangen?

Nicht Heiliger Geist, sondern christliche Krieger strömten in die Welt

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Clio platzt aus allen Nähten. Jedenfalls wenn es um die großen Erzählungen geht. Eine voluminöse Monografie nach der anderen erscheint, nichts geht mehr unter 1000 Seiten. So auch »Die Unterwerfung der Welt«, eine Globalgeschichte des Freiburger Professors für Neuere Geschichte Wolfgang Reinhard. Vor 30 Jahren erschien eine solche von ihm bei Kohlhammer in vier Bänden. Diese sind nun de facto komprimiert und aktualisiert und den neuen Diskursschwerpunkten angepasst worden. Ein unhandliches, aber überwältigend stoffreiches Meisterstück über die zumeist äußerst aggressiven Versuche Europas, alle Kontinente zu unterwerfen. Kaum ein europäisches Land hat sich daran nicht beteiligt. Die meisten Vorstöße erfolgten über die Ozeane. Reinhard rechnet hierzu auch die kontinentalen Expansionen Russlands.

Am Beginn dieser großen Erzählung stehen die vom Mittelmeer und der iberischen Halbinsel ausgehenden Übersee-Expeditionen der Portugiesen, Spanier und Italiener. Notwendig hierzu waren neuartige Schiffskonstruktionen und Navigationssysteme, die Reinhard verständlich erläutert. Zunächst waren die Küsten Westafrikas, bald auch der Mittlere Osten und Indien Ziel europäischer Expansionsgier. Dem Leser erschließt sich ein abenteuerliches Zeitalter von Entdeckungen. Reinhard führt ihn zu Stützpunkten des Handels und der christlichen Missionierung, darunter der Muslime. Der Autor prangert die völkermordende Eroberung des Doppelkontinents Amerika an. Immer wieder problematisiert er ökonomische Interessen und Zwänge.

Die europäischen Mächte gerieten auf anderen Kontinenten in konfliktreiche Konkurrenz miteinander, die im Zusammenhang mit den innereuropäischen Machtkämpfen standen. Zu den iberischen »Unterwerfern« gesellten sich im Laufe der Zeit niederländische, englische und französische. Die Rivalität untereinander verschärfte sich um den lukrativen Sklavenhandel. Der Osten Asiens blieb indes schwieriges Terrain. China erschlossen die Europäer sich nur an den Küsten, Japan schottete sich ganz von den undiplomatisch auftretenden europäischen Eindringlingen ab.

Das 19. Jahrhundert führte einerseits zur Beendigung der iberischen Kolonialherrschaft in Latein- und Mittelamerika und andererseits zur endgültigen Aufteilung Afrikas unter die europäischen Kolonialmächte. Der Imperialismus nahm unterschiedliche Gestalt im britischen oder im französischen Kolonialreich an. Reinhard beschreibt für alle Epochen die administrativen Besonderheiten der Kolonialherrschaft, die unterschiedliche Beteiligung von staatlichen und privaten Ressourcen an der ökonomischen Erschließung und Ausbeutung der Kolonien. In einem umfangreichen Kapitel wendet er sich der Dekolonisation Asiens und Afrikas und dem Zerfall der Sowjetunion zu. Ein eigenes Kapitel ist der Situation in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten gewidmet.

In Reinhards Erzählung sind die Kolonisierten nicht passive Objekte der Geschichte und nur Opfer. Dass aber jetzt, so der Autor, »die europäische Expansion endgültig vergangen ist«, scheint doch eine allzu gewagte Behauptung zu sein.

Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415 -2015. C.H.Beck. 1648 S., geb., 58 €.

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