Nur nicht öfter als dreimal krank werden
Folienhersteller kürzt Mitarbeitern mit häufigeren Krankmeldungen die Gewinnbeteiligung, Betriebsrat und Gewerkschaft stimmen zu
Seit den 1990er Jahren sind Heerscharen von Beratern und Gesundheitsexperten im Einsatz, um den Chefs großer und kleinerer Firmen die Segnungen eines betrieblichen »Gesundheitsmanagements« nahe zu bringen und mit einem »Fehlzeitenmanagement« Anreize für weniger Krankmeldungen zu schaffen. Ein aktuelles Beispiel von vielen ist der Verpackungsmittelhersteller Klöckner Pentaplast mit Produktionsstätten in Montabaur (Rheinland-Pfalz) und Endorf (Bayern). Die Firma gehört nach eigenen Angaben zu den weltweit führenden Herstellern von Verpackungsmaterial und Folien für Arznei- und Lebensmittel. Bei Klöckner Pentaplast werden Mitarbeiter mit monetären Anreizen bei der Stange, sprich »gesund« gehalten.
Wer sich öfter krank meldet, soll weniger Lohn in der Tasche haben. Die Unternehmerlogik ist nicht neu. Und sie ist nicht auf einige Unternehmen beschränkt. Die Regierung von Helmut Kohl (CDU) folgte ihr, als sie 1996 gegen alle Widerstände aus den Gewerkschaften, aber auch weit über diese hinaus, die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch Einführung von zwei Karenztagen gesetzlich durchboxte. Das löste Empörung und Widerstand aus, weil die Jahrzehnte zuvor erkämpfte Lohnfortzahlung für viele abhängig Beschäftigte mehr als nur ein monetärer Fortschritt war, sondern eine handfeste zivilisatorische Errungenschaft darstellte. Zwei Jahre später wurde Kohl abgewählt; die neue Regierungsmehrheit aus SPD und Grünen schaffte als eine ihrer ersten Maßnahmen die Kohlschen Karenztage wieder ab.
Bei Klöckner Pentaplast haben sich die Firmenchefs jetzt eine andere, subtilere und »einvernehmlichere« Strategie einfallen lassen. Sie haben allem Anschein nach Betriebsrat und Gewerkschaft ins Boot geholt, um mit ihrer Rückendeckung die Zahl der Krankmeldungen zu senken. Maßgeblich war dabei offenbar der Druck des Hedgefonds Strategic Value Partners (SVP), der seit 2013 alleiniger Eigentümer der Firma ist. Wie Firmensprecher Christoph Thünemann auf nd-Anfrage bestätigte, soll demnächst eine Betriebsvereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat in Kraft treten. Kernstück des Papiers, das auch den Segen der zuständigen Gewerkschaft IG BCE hat: Wer mehr als dreimal pro Jahr eine ärztliche Krankmeldung einreicht, muss mit einer Kürzung der Erfolgsbeteiligung rechnen, also jener übertariflichen Bonuszahlung, die alle Beschäftigten je nach der Höhe des operativen Gewinns jährlich erhalten.
Die Betriebsvereinbarung sei aber nur eine von vielen Maßnahmen, so Thünemann. So habe man in den vergangenen Jahren etwa mit Massage- und Fitnessangeboten, Gesundheitsberatung, Werksärzten, Präventions- und Ernährungsberatung, Obstkörben und Gratisausschank von Mineralwasser eine Menge für die Gesundheit der Mitarbeiter unternommen. Doch der betriebliche Krankenstand von über fünf Prozent sei im Vergleich der SVP-Tochterfirmen in aller Welt zu hoch und müsse auf eine »Zielmarke« von maximal vier Prozent gesenkt werden. Natürlich werde man mit chronisch Kranken und »sozialen Härtefällen« flexibel umgehen, so Thünemann. »Doch wenn von 100 Mitarbeitern fünf nicht da sind, lähmt das den Arbeitsprozess.« Die Maschine laufe nicht von allein.
Für den Frankfurter Jürgen Hinzer, der 37 Jahre als Sekretär der Lebensmittelgewerkschaft NGG hinter sich hat, sind solche übertariflichen Prämiensysteme »teuflisch«. Boni für Beschäftigte, die auf den Arztbesuch verzichteten, könnten dazu führen, dass man eine Krankheit verschleppe und seine Gesundheit vernachlässige. Dabei müsse zu allererst die Frage gestellt und beantwortet werden, was die Menschen gesundheitlich aus der Bahn werfe. Es sei längst erwiesen, dass gerade auch moderne Arbeitsbedingungen, Leistungsverdichtung, Stress und Druck in Produktion und Verwaltung bei vielen Berufstätigen psychische und physische Krankheiten auslösten, so Hinzer.
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