Mir den Fußball, dir die Fernbedienung
Zänkische Bergvölker in Aue statt Plastik-Dorfbums in Sinsheim - in der Zweiten Liga fährt man dahin, wo es weh tut. Aber echt ist.
Der VfB Stuttgart ist abgestiegen, man wird also noch einige Tage lang sehr viele rührende Nachrufe auf einen Verein lesen, der nach fast vier Jahrzehnten in der ersten Bundesliga dort verschwunden ist, wo der Din-A-0-Deutsche den fußballerischen Mariannengraben verortet: in der Zweiten Liga.
Im echten Leben liegen die Dinge ein wenig anders. Auch wenn Sascha Lewandowski (Bayern) im Vergleich zu Sascha Mölders (1860) sicher der bessere Stürmer ist und in der Allianz-Arena vor ausverkauftem Haus spielt. Statt vor 20.458 Nasen wie der Mölders Sascha.
Allerdings kann man die Geschichte vom Abstieg auch ganz anders erzählen. Jeder Fußballfan, der weiß, dass zum Fansein ein Stadionbesuch gehört und keine Fernbedienung, weiß damit auch, dass es die Perspektive verändert, wenn man vom Sessel- zum Kurvenmenschen mutiert. Schwupps, wird aus dem angeblich »zweiten« Hamburger Verein der mit dem Millerntor – einem Stadion, das man möglichst schnell ein zweites Mal besucht haben will, wenn man ein erstes Mal dort gewesen ist, weil einem eine bedauernswerte Existenz als Erstliga-Inventar bisher immer nur den Volkspark beschert hat. Genau deshalb wird der geneigte Schwabe dann auch in München schnell feststellen, dass 20.458 Löwenfans lauter sind als 66.000 Bayern-Fans, von denen sich 63.000 beim Spiel gegen Mainz 05 darüber ärgern, dass Mainz nicht in der Champions League spielt.
Doch damit nicht genug des Hosianna-Gesangs für die Zweite Liga: Wer schon mal in Aue war, freut sich einen Wolf darüber, dass das Aushängeschild des »zänkischen Bergvolks« (Eigenbeschreibung) aus dem Erzgebirge wieder zurück ist in der Zweiten Liga. Und er wird nie, nie wieder die gängige Mär weiterplappern, wonach mit RB Leipzig ein »Verein aus dem Osten« in die erste Liga aufgestiegen sei.
Reisen wir also von Fuschl bei Salzburg gen Norden: Der VfL Bochum ist zehnmal mehr Ruhrpott, als sich Metzgermeister aus dem Ostwestfälischen so vorstellen können, Eintracht Braunschweig ein Verein, von dem selbst englische Groundhopper als »true football ground« schwärmen, der KSC ein Gastgeber, der jedem Gast völlig ungefragt und ohne jeden Aufpreis eine touristisch höchst interessante Reise in die Stadionkultur der Nachkriegsjahre vermittelt. Der 1. FC Union Berlin ist derweil der einzige Verein, der einem beim Nachdenken über den nach wie vor widersprüchlichen Sinn-Zusammenhang »Berlin UND Fußball« einfallen sollte (okay: das famose Tebe und der BFC sind, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen, auch einen Ausflug wert).
Und wer einmal in Sandhausen auf der Haupttribüne saß und in den Wald blickte, kann nur noch drüber lachen, wenn ein paar Meter weiter, in Sinsheim, ein Dorfidyll beschworen wird, das man längst in ein Leben an der Autobahn eingetauscht hat.
In Sandhausen – das ist wiederum eine Parallele zu Hoffenheim – haben zwar 15 von 17 Gastmannschaften ein Heimspiel. Doch da gibt es im gesamten Sitzplatzbereich der Haupttribüne auch nur Wurst aus dem Wasser statt Bratwurst. Selbst für die Fleisch (-abfall) gewordene Versinnbildlichung des Dorffußballs fehlt in Sandhausen nämlich die Infrastruktur, die man für einen Grill bräuchte. Nicht genügend Steckdosen, nicht genug Platz. Solche Probleme haben die da. Wunderbar.
Also, liebe Stuttgarter: Seid nicht so traurig. Es gibt ein Leben nach der ersten Liga. Es ist ein viel schöneres, als das, was ihr kennt. Und es ist eines, das viel mehr mit Fußball zu tun hat als all das, was ihr in dieser Saison gezeigt habt.
Was ihr hinter euch lasst, ist keine Träne wert: Oder stimmt es etwa nicht, dass euer Martin Harnik sich vor ein paar Tagen einen Porsche für 180.000 Euro gekauft hat? Und echt jetzt: in lila? Harnik ist eben absolut erstklassig. Und das wird er bleiben. Im Gegensatz zu euch. Und darüber solltet ihr euch jetzt wirklich mal freuen. Denn wer will schon da sein, wo Martin Harnik ist?
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