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Sicherheitsrisiko Formel-E-Rennen

Über das Raserspektakel auf der Karl-Marx-Allee schütteln Anwohner und Bezirk den Kopf

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 3 Min.
Elektrische Rennautos rasen am Samstag um den Strausberger Platz. Bezirk und Kiezbewohner zeigen sich wenig begeistert.

Die meisten Anwohner hier kennen das: Absperrungen, Menschenmassen, das Spektakel vor dem Fenster. Von früher. Von den 1.-Mai-Paraden auf der Karl-Marx-Allee. »Ich bin hier schon als Kind entlang demonstriert«, sagt Wolfgang Lutz. Voller Bewunderung schaute er damals nach oben zu den winkenden Menschen auf den Balkonen. »Heute winken wir«, sagt Lutz, und freut sich sogar ein bisschen auf die 30 000 potenziell zurückgrüßenden Menschen beim Formel-E-Spektakel am Samstag. Nur schade, dass er durch sein Fenster das Rennen selbst nicht sehen könne: Die Bäume stünden im Weg, sagt er.

Exakt 48 Mal sollen die vollelektrischen Flitzer am Samstag um den Parcours rund um den Strausberger Platz rasen. Die Aufbauarbeiten für den 2,03 Kilometer kurzen Parcours haben bereits seit dem 9. Mai den Verkehrsalltag vor Ort beeinträchtigt. Abfang- und Absperrzäune säumen die Straße und bereiteten seither vor allem Fußgängern einen Umweg. Autofahrer mussten sich mit zwei Fahrstreifen begnügen. Und ab diesem Freitag sind die Straßen schließlich komplett für den Autoverkehr gesperrt, zwischen Andreas- und Otto-Braun-Straße, inklusive Lichtenberger Straße. Wieder freigegeben wird die Fahrt für die Autos und Fahrräder am Samstagabend. Am 31. Mai soll der Spuk schließlich vorbei sein, versprach die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt am vergangenen Mittwoch.

Ein bisschen Chaos-Flair gab es auf dem Platz schon seit Tagen. Im Schatten des Gitter- und Betonwirrwarrs stritten sich Radfahrer und Wartende an der Bushaltestelle. Denn wegen Bauarbeiten fährt auch die U 5 nicht mehr zwischen Alexanderplatz und Strausberger Platz. Die provisorische Haltestelle für den Busersatzverkehr steht nun aber direkt am Fahrradstreifen. Der in gelben Streifen um die Station herumgeleitet wird. Zumindest in der Theorie. »Die jungen Radraser halten sich nicht an die Umleitung«, beschwerte sich ein Sicherheitsangestellter der BVG. »Die Damen zum Glück schon.«

Überhaupt sind die Jugend und das Rasen ein heißes Straßenthema in diesen Tagen. Denn der lieben Jugend zuliebe reißt sich auch Wolfgang Lutz zusammen. »Ich verstehe zwar nicht, warum dieses Rennen mitten in der Stadt stattfinden muss«, schüttelte der Rentner den Kopf, »aber ich bin ja tolerant. Für die jungen Leute ist das sicher eine spannende Geschichte.« Zuspruch kommt von einer Nachbarin. »Wenn die Jugend mit diesem Rennen ihren Spaß hat, denn is dit doch jut!«, ruft eine ältere Dame im Vorbeigehen, einen Enkel an jeder Hand.

Nicht alle sehen das so. Ursula Richter versucht, mit ihrer Gehhilfe über den Strausberger Platz zu kommen, was mehr schlecht als recht funktioniert. Immer neue Bögen muss sie um die Absperrungen ziehen. »Eine bodenlose Frechheit ist das alles!«, schimpft sie dabei. »Das ist doch nur wieder so eine Geldsache. Schöne Geschenke von der Autoindustrie an den Bezirk. Und ich muss sehen, wo ich bleibe.«

Tatsächlich kostet das Rennen der Elektroautos den Bezirk keinen Cent. Das ergab eine Antwort auf eine Anfrage der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte. Die Veranstalter zahlen im Gegenteil für ihre Werbeveranstaltung sogar für eine neue Asphaltierung der Strecke. Wie groß dieses ungewollte Geschenk ist, vermochte der Bezirk nicht zu sagen. Denn der ist auf die Raserei nicht gut zu sprechen. Die BVV lehnte das Rennen bereits im März ab.

»Der Senat hat das Rennen gegen die ablehnende Haltung des Bezirks durchgesetzt«, sagt Thilo Urchs, der Fraktionschef der LINKEN in der BVV Mitte. »Der Veranstaltungsort ist einfach falsch. Ein Autorennen mit über 200 Kilometer pro Stunde in Mitte ist nicht nur sicherheitstechnisch ein Risiko, sondern auch das falsche Signal: ein Vorbild für Raserei in der Innenstadt.«

Und das Rennen selbst? Die beiden deutschen Fahrer Daniel Abt und Nick Heidfeld stünden in einer guten Position für einen Podestplatz, hätten aber keine Siegeschancen, sagt die Formel-E. »Dit jilt ja scheinbar als de' Zukunft, diese Elektroautos, wa?«, schüttelt eine Passantin den Kopf.

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