Geschichten mit Gesangseinlage
Die Leserjury wählte die drei Siegergeschichten des 14. nd-Lesergeschichten-Wettbewerbes.
Ich bin so aufgeregt«, bekannte die Autorin und Journalistin Martina Rellin, die am Mittwoch zur Abschlussveranstaltung des 14. nd-Lesergeschichten-Wettbewerbs unter dem Motto »Wenn aus Fremden Freunde werden« gemeinsam mit nd-Geschäftsführer Olaf Koppe die zehn schönsten Geschichten vorlas. Der konnte dem nur zustimmen. »Seit vielen Jahren habe ich aufmerksam den Wettbewerb verfolgt, alle veröffentlichen Geschichten gelesen und mich immer wieder darüber gefreut, mit wie viel Fantasie und Können die Leserinnen und Leser an die Umsetzung des vorgegebenen Themas herangehen. Nun sitze ich hier im Podium, um selbst einige vorzutragen und habe Herzklopfen kostenlos«, sagte er.
Nach der Begrüßung und einer organisatorischen Einführung in die Abschlussveranstaltung des 14. nd-Lesergeschichten-Wettbewerbs haben Martina Rellin und Olaf Koppe folgende Geschichten verlesen:
Agnes Hasenjäger – Musikalische Begegnung
Horst Sandmann – Lakuta Mo, unser Indianer
Christina Nußbicker – Jalajala oder pünktlich wie ein Deutscher
Werner Laube – Vom Widerstand zum Kunstsalon
Marion Kasper – Kaum inn Polen schon geholfen
Frank Schmarsow – Ruhe sanft, Richard
Dargmar Neidigk – Kinder des Lichts
Bernd G. Ripke - Wildfremde im Nest
Vera Richter – Traudl, das Flüchtlingskind
Rudolf Engler – Ein nerviger Typ
Alle Geschichten am Stück (verminderte Tonqualität).
Die Jury, bestehend aus allen Besuchern der Veranstaltung, wählte zu den Preisträgern der ersten drei Plätze: Vera Richter (1), Bernd G. Ripke (2), Frank Schmarsow (3). Die Preisträger konnten aus drei Preisen wählen.
Zur Verabschiedung bedankten sich Heidi Diehl und Geschäftsführer Olaf Koppe herzlich bei den Teilnehmern des Wettbewerbs und bei den Besuchern der Veranstaltung. Mit der Hoffnung, auch im nächten Jahr wieder eine rege Teilnahme verzeichnen zu können.
Schnell aber legte sich die Aufregung bei beiden, und souverän - als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht - gaben sie den Geschichten ihre Stimme.
Rund 100 Leserinnen und Leser waren der Einladung gefolgt, darunter viele, die dem Wettbewerb seit Jahren die Treue halten, aber auch etliche, die erstmals dabei waren. Am Eingang hatte jeder seinen Stimmzettel bekommen, denn, einer guten Tradition folgend, lag es auch diesmal in der Hand der Gäste der Abschlussveranstaltung, die drei besten unter den zehn schönsten Geschichten auszuwählen. Zugegeben, ein bisschen Genugtuung kam bei den Jurymitgliedern, die zuvor die Qual der Wahl hatten, sich aus den insgesamt 86 eingegangenen Geschichten für zehn entscheiden zu müssen, bei dem Gedanken schon auf, dass die endgültige Entscheidung nun nicht mehr in ihren Händen liegen würde. Denn diese würde alles andere als leicht werden.
Besonders gespannt waren natürlich diejenigen, deren Geschichten im Mittelpunkt des Abends standen. Sieben der zehn Autoren waren anwesend. Einige davon hatten eine weite Anreise auf sich genommen, um dabei sein zu können. Noch niemals in der Geschichte des Wettbewerbes kamen die Siegergeschichten aus so vielen Bundesländern wie in diesem Jahr: Die Autoren leben in Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die weiteste Anreise hätte Marion Kasper aus Salem am Bodensee gehabt, deren Geschichte »Kaum in Polen - schon geholfen« für viel Heiterkeit sorgte. Da sie aus Arbeitsgründen leider nicht selbst kommen konnte, setzte sich ein guter Bekannter kurzerhand in den Bus und war zehn Stunden später in Berlin. Er habe die lange Fahrt nicht bereut, sagte er nach der Veranstaltung, denn die sei so kurzweilig und interessant für ihn gewesen, dass er nur bedauere, dass die Autorin nicht selbst kommen konnte.
Dass der Abend nicht nur für ihn ein voller Erfolg wurde, lag nicht nur an den Geschichten selbst, sondern auch an den beiden Vorlesern. Mit viel Einfühlungsvermögen und großen Emotionen trugen Martina Rellin und Olaf Koppe die Geschichten vor, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Die Bannbreite reichte von Freundschaften, die aus großer Not entstanden, über solche, die ihren Angang zufällig beim Schnee schippen nahmen, bis hin zur ungewöhnlichen Freundschaft zwischen Mensch und Tier.
»Bei einigen hatte ich einen richtigen Klos im Hals und habe mit den Tränen gekämpft«, bekannte nd-Volontärin Anja Märtin, die an diesem Abend für die Fotos zuständig war. Mit Sicherheit ging es nicht nur ihr so, sogar den Vorlesern merkte man die Emotionen hier und da deutlich an, obwohl sie ja schon ein paar Tage Zeit gehabt hatten, sich mit den Manuskripten zu beschäftigen.
Mit der Geschichte »Traudel, das Flüchtlingskind« von Vera Richter hatte sich Martina Rellin ganz besonders intensiv befasst. Der Grund waren zwei Liedtexte, bei denen die Vorleserin kurzerhand von Worten zu Gesang wechselte. Dafür bekam sie einen spontanen Extrabeifall der überraschten Zuhörer. Olaf Koppe schaute sie nur an und fragte: »Wie hast du denn die richtigen Melodien rausgefunden?« »Wie schon, im Internet, da findet man alles«, so die einfache Erklärung.
Auf die Idee, dort mal zu recherchieren, wie der Indianerruf in Rudolf Englers Geschichte »Ein nerviger Typ« richtig gerufen wird, war Olaf Koppe zwar nicht gekommen, dennoch schlug er sich wacker mit seinem - eher ein bisschen an Wolfsgeheul erinnernden - »Huahuahuahuhuahua«. Die Lacher hatte er jedenfalls auf seiner Seite.
Nach gut einer Stunde wechselte der aktive Part - die Vorleser hatten Pause, die Zuhörer mussten ihre Wertung treffen. Wer würde am Ende die Nase vorn haben? Eine Prognose wollte niemand abgeben, jede Geschichte hätte den Sieg verdient. Dennoch fiel die Entscheidung letztlich ziemlich eindeutig aus: Mit deutlichem Abstand wählten die Gäste des Abends die Geschichte von Vera Richter aus Gera »Traudel, das Flüchtlingskind« auf den ersten Platz. Die Gewinnerin war für einen Moment völlig fassungs- und sprachlos. Und dann erzählte sie: »Ich habe mich das erste Mal an dem Wettbewerb beteiligt, weil mich das Thema sofort angesprochen hat. Gerade in der Gegenwart sind meine persönlichen Erinnerungen aus Begegnungen mit Flüchtlingen präsent, obwohl diese Ereignisse Jahrzehnte zurückliegen. Bis auf die wörtliche Rede schildert meine Geschichte ein wahres Erlebnis meiner Kindheit.«
Wer weiß, vielleicht findet die Gewinnerin ja in Salzburg, wohin sie der Siegpreis mit ihrem Mann führen wird, neue Geschichten, die sie unbedingt aufschreiben muss. Der übrigens hat sie am Donnerstagabend, als die glückliche Gewinnerin aus Berlin zurückkam, mit einem großen Strauß Rosen am Bahnhof abgeholt. »Ich bin so stolz auf sie«, erzählte er gegenüber »nd« am Telefon.
Auch Bernd G. Ripke strahlte über beide Ohren. Ihn hatte die Zuhörerjury auf Platz 2 gesetzt. Seine lustige wie ungewöhnliche Geschichte über seine Freundschaft zu einem Amselpärchen amüsierte die Zuhörer ebenso wie sie viele ungläubig fragen ließ, ob er sie nicht erfunden habe, so unvorstellbar wie sei sie. »Kein Wort ist erfunden«, versicherte der Berliner, was seine Frau gern bestätigte. Und er fügte noch an, dass er lange mit sich gerungen habe, sie überhaupt abzuschicken, weil er sich nicht sicher gewesen sei, ob sie dem Thema des Wettbewerbs gerecht werden würde. Es wäre wirklich jammerschade gewesen, wenn er sie für sich behalten hätte! Jetzt freut er sich darauf, seinen Preis, eine Reise nach Münster, gemeinsam mit seiner Frau einzulösen.
»Ruhe sanft, Richard« heißt der Wettbewerbsbeitrag, mit dem Frank Schmarsow aus Osterburg die Zuhörer überzeugen konnte. Platz 3 für ihn und für eine Geschichte, die von einer falschen Ehe und von richtiger Freundschaft erzählt und zu jenen gehörte, bei denen sich viele eine Träne verdrückt haben. Wie Olaf Koppe, der sie vorlas, hinterher gestand, war es diejenige, die ihm besonders naheging. Und deshalb freute er sich wohl um so mehr, dass es »Richard« so weit nach vorn geschafft hat. Der Autor freute sich nicht nur darüber, sondern auch über seinen Preis, der ihn mit einer Begleitung für einen Kurzurlaub nach Bansin führt.
Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, nun auf die zehn schönsten Geschichten neugierig geworden sind: Am 3. Juni erscheint eine Sonderbeilage, in der sie alle veröffentlich werden. Und außerdem kann man ab sofort die gesamte Abschlussveranstaltung im Internet anhören.
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