Die Täter zum Gespräch zwingen

Nama und Herero verklagen die Bundesrepublik in Den Haag

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 2 Min.
Deutschland weigert sich standhaft, über Reparationszahlungen für den Völkermord im heutigen Namibia zu verhandeln.

»Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.« Dieser Vernichtungsbefehl des deutschen Generalleutnants Lothar von Trotha kostete zwischen 1904 und 1908 Tausenden Menschen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika das Leben. Wer nicht von deutschen Truppen erschossen wurde, verdurstete in der wasserlosen Omaheke-Wüste, nachdem von Trotha alle Wasserstellen sperrte. Mehr als 100 Jahre später beschäftigt der erste Völkermord des zwanzigsten Jahrhunderts, wie Historiker das Massaker deutscher Kolonialtruppen bezeichnen, doch noch die Justiz.

Vor einigen Tagen reichten Vertreter der Opferorganisationen der im heutigen Namibia lebenden Nama und Herero vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Zuvor hatte die Bundesregierung zwei Ultimaten verstreichen lassen. Die Opferverbände hatten die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 1. Mai 2016 mit ihnen Verhandlungen über Reparationszahlungen aufzunehmen. Eine erste Frist war bereits am 2. Oktober 2015 ohne Reaktionen aus Berlin verstrichen. »Wir haben nun nach langen Überlegungen beschlossen, den Stier bei den Hörnern zu packen«, erklärte der Sprecher der Ovaherero Stammesbehörde Bob Kandetu in einer Presserklärung die Klage.

Der Konflikt zwischen der deutschen Regierung und den Opferverbänden der Herero und Nama hat eine lange Geschichte. Als Bundeskanzler Kohl 1995 als erster deutscher Regierungschef Namibia besuchte, vermied er den Kontakt mit den Opferverbänden. Man bedauere das Geschehene, könne aber keine Verantwortung für Ereignisse des deutschen Kaiserreichs übernehmen, lautete die offizielle Position der Bundesregierung. Mit der Begründung, die UN-Völkermordkonvention gelte nicht rückwirkend, wurde bestritten, dass es sich um einen Genozid handelte. Zum 100. Jahrestag des Massakers im Jahr 2004 nahm mit der damaligen Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul erstmals die Vertreterin einer deutschen Regierung an einer Gedenkveranstaltung in Namibia teil. 2011 kam es zu einem Eklat, als eine Delegation aus Politkern und Vertretern von Opferverbänden nach Berlin gekommen war, um 20 Schädel von Opfern des Massakers in Empfang zu nehmen, die in der Berliner Charité eingelagert waren: Nachdem die einzige offizielle Vertreterin der Bundesregierung Cornelia Pieper die Veranstaltung vorzeitig verließ, gab es lautstarke Proteste und Buhrufe aus dem Publikum.

2015 hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in der Wochenzeitung »Die Zeit« erstmals vom Völkermord an den Herero gesprochen. Doch die deutsche Regierung wollte weiterhin nicht mit den Opferverbänden über Reparationen verhandeln. Die namibische Regierung wurde als einziger Gesprächspartner anerkannt. Die Opferverbände verweisen hingegen auf einen Beschluss des namibischen Parlaments, das im Oktober 2006 die Aufnahme von Gesprächen zwischen der deutschen und namibischen Regierung und den Opferverbänden forderte.

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