Glaubenskriege in Flüchtlingsheimen?
Berichte über die Drangsalierung von Christen in Sammelunterkünften offenbar unseriös - Freikirchen missionieren dort intensiv
Berlin. Eine jüngst veröffentlichte Erhebung über eine systematische Verfolgung von christlichen Flüchtlingen in Asylbewerberheimen ist nach Recherchen der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« zweifelhaft. Das zum freikirchlichen evangelikalen Spektrum zählende christliche Hilfswerk »Open Doors« hatte am 9. Mai eine Studie über »Religiös motivierte Übergriffe gegen christliche Flüchtlinge in Deutschland« herausgegeben und darin von flächendeckenden Fällen von Gewalt und Drangsalierung berichtet.
Nun bestätigte die Organisation der Zeitung, dass fast zwei Drittel der aufgeführten mutmaßlichen Opfer tatsächlich aus einer einzigen Gemeinde in Berlin stammten. In der Publikation heißt es aber: »Die Erhebung fand deutschlandweit statt.«
In einem der angeführten Fälle erklärte der Betreiber der fraglichen Unterkunft, die mutmaßlichen Opfer hätten den Konflikt herbeigeführt, um in bessere Unterkünfte zu kommen. In einem anderen laut »Open Doors« als eklatant dargestellten Fall stellt dem Blatt auch ein Pfarrer, der das mutmaßliche Opfer betreut, den christlichen Glauben als Ursache des berichteten Konflikts infrage. Darüber hinaus konnte »Open Doors« nach Darstellung der Zeitung binnen einer Woche nicht einen einzigen Fall aus einer kirchlich betriebenen Unterkunft einer Nachprüfung zugänglich machen, obwohl Geschäftsführer Markus Rode von 500 solcher Fälle zu wissen vorgebe.
Christliche Organisationen, darunter das der theologisch konservativen »Deutschen Evangelischen Allianz« nahe Netz »Open Doors«, hatten am 9. Mai Ergebnisse einer eigenen Umfrage in Flüchtlingsunterkünften vorgelegt. Darin sind 231 Fälle dokumentiert, in denen christliche Flüchtlinge aufgrund ihres Glaubens beleidigt, bedroht oder verletzt worden sein sollen. In 86 Prozent der Fälle ging es den Angaben zufolge um Menschen, die zum Christentum übergetreten sind.
Der Bericht der christlichen Organisationen sah darin eine systematische Verfolgung durch muslimische Flüchtlinge und muslimische Mitarbeiter von Wachdiensten. Sie warfen Politik und Kirchen Verharmlosung vor. Die evangelische und die katholische Kirche wiesen dies zurück und verwiesen auf eine unzureichende Datenlage.
Hinter diesem Streit steht auch eine christliche Organisationskonkurrenz: Die großer Kirchen in Deutschland - besonders die evangelischen - haben in jüngeren Jahren zusehends von Missionierungsanstrengungen gerade unter Muslimen Abstand genommen. Nun scheint das freikirchliche Spektrum darin eine Chance und in den Flüchtlingen ein geeignetes Betätigungsfeld zu sehen. Vor Weihnachten etwa hatte Hartmut Steeb, der Generalsekretär der Evangelischen Allianz, christliche Familien aus seinem Spektrum dazu aufgerufen, Flüchtlinge zu sich nach Hause einzuladen und dabei »den Glauben nicht zu verschweigen«. Immer wieder kommt es auch zu Massentaufen von Flüchtlingen nach freikirchlichen Riten. Am Tag vor der Veröffentlichung der Studie von »Open Doors« kam es etwa in Hamburg zu einer Massentaufe von 80 Frauen und Männern aus Iran und Afghanistan in einem Gewässer im Hamburger Stadtpark. Vorgenommen wurde die Taufe von der »Alpha und Omega«-Gemeinschaft, die sich vordringlich an Menschen aus Iran wendet und der »Pfingstbewegung« zuzurechnen ist - einem losen, weltweiten Bündnis von evangelikalen Gemeinschaften und Strömungen, die üblicherweise sehr konservativ sind. Allein die hamburger Gemeinde will nach eigenen Angaben in diesem Jahr Hunderte taufen vornehmen. epd/nd
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