Nahost-Konflikt einmal umschifft

Die umstrittene Boykottkampagne gegen Israel diskutierte mit ihren Kritikern

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 3 Min.
Rund 200 Linke diskutierten in Kreuzberg über die Boykottkampagne BDS. Einige Teilnehmer äußerten Kritik, explizite Gegner waren jedoch nicht gekommen.

Am Sonntagabend zog eine Gewitterwolke in Kreuzberg auf, genauer: über dem Biergarten »Jockel«. Wenn sich 200 Linke, Palästinenser und jüdische Israelis in einen Raum drücken, um die Boykottkampagne gegen Israel zu diskutieren, ist die Luft zum Schneiden.

»Der BDS ist in Deutschland noch kaum bekannt und wird hier sehr oberflächlich diskutiert. Das wollen wir ändern«, leitete Doris Ghannam aus der Berliner Ortsgruppe die Veranstaltung ein. BDS steht für »Boykott, Kapitalabzug (›Divestment‹) und Sanktionen«. Und »oberflächlich diskutiert«, damit meinte Ghannam die Debatte über die Teilnahme des BDS an der Revolutionären 1. Mai-Demonstration und die damit verbundene Äußerung der Journalistin Jutta Ditfurth, der BDS und sein Umfeld seien »explizit antisemitisch«.

Knapp stellte Ronnie Barkan aus der israelischen BDS-Gruppe die Kampagne vor. Sie verfolge im Groben drei Ziele: das Ende der militärischen Besatzung der Westbank, die politische und bürgerrechtliche Gleichheit von Palästinensern und jüdischen Israelis in Israel und das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge. Als politische Mittel schlägt der BDS den wirtschaftlichen, akademischen und kulturellen Boykott aller israelischen Unternehmen und Institutionen vor, außerdem den Abzug internationalen Kapitals und die politische Sanktionierung des Staates Israel durch die internationale Staatengemeinschaft. Kein legitimes Mittel sei hingegen der Boykott von Individuen wie Künstlern oder Akademikern. »Die Kampagne richtet sich gegen alle Einrichtungen, die sich an der Unterdrückung von Palästinensern beteiligen«, so Barkan, der auch von einem »Apartheidsregime« sprach.

Die Kritiker ließen nicht lange auf sich warten. »Gilt das Rückkehrrecht dann nur für Palästinenser aus Israel oder auch für Flüchtlinge aus Saudi-Arabien oder auch für Sudetendeutsche? Oder ist BDS purer Antisemitismus, weil es eben nur um Israel geht?«, fragte Reiner Quante von der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Andere Stimmen aus dem Publikum warfen dem BDS vor, der Sicherheit jüdischer Israelis keine Wichtigkeit einzuräumen. »Wenn alle nach 1948 Geflohenen nach Israel zurückkommen, gibt es kein Israel mehr«, bemerkte eine jüdische Israelin. Doch insgesamt waren die Kritiker in der Minderheit. Eingeladene Gegner der Kampagne wie Jutta Ditfurth waren nicht erschienen.

Es folgten drei Stunden Diskussion über verschiedene Streitpunkte zum Nahost-Konflikt: Von der Situation im Gaza-Streifen über Angriffe der Hamas bis zu der Debatte um den Zionismus vor dem Zweiten Weltkrieg und die deutsche Kollektivschuld wurden viele Aspekte angesprochen, keiner ausdiskutiert. Immerhin konnte die professionelle Moderatorin durchsetzen, dass sich alle gegenseitig ausreden ließen.

»Die Veranstaltung wurde der Komplexität des Konflikts um Israel und Palästina nicht gerecht. Anstelle einer politischen Debatte versicherte man sich der eigenen Standpunkte«, zog der Protestforscher Peter Ullrich im Anschluss Fazit. Die eigentlich schwierigen Punkte seien umschifft, Äußerungen zum Nahostkonflikt von den Kritikern ausschließlich auf Antisemitismus hin untersucht worden. »Entweder sie sind antisemitisch - oder in Ordnung. Auch das reduziert die Komplexität. Andere Problemdimensionen spielen dann gar keine Rolle mehr.«

Die Holocaust-Forscherin Anna Hájková von der Universität Warwick kritisierte, wie die Debatte um Israel in Deutschland geführt werde. »Nicht jeder, der Israel kritisiert, ist Antisemit - wenn es auch antisemitische Kritiker des Zionismus gibt.« Sie riet dazu, sich die Diskussion in Großbritannien, Kanada oder USA anzuschauen. »Für mich als Wissenschaftlerin sind manche der Reduktionen und Automatismen, wie man hier mit Antisemitismus umgeht, mitunter zum Verzweifeln.«

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