Armut in der Konjunktur

In seinem Jahresgutachten geht der Paritätische Gesamtverband mit der Bundesregierung hart ins Gericht

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Langzeitarbeitslosigkeit, Kinderarmut, niedrige Renten: Der Paritätische Gesamtverband kritisiert, dass drängende Probleme trotz guter Konjunktur nicht angegangen werden.

Die Deutschen verlieren ihren Glauben. Nicht den an einen imaginären Gott, sondern den an die Absicherung durch den Sozialstaat. Dieses schwindende Vertrauen in die Institutionen ist nur ein Befund aus dem am Dienstag veröffentlichten »Jahresgutachten zur sozialen Lage« des Paritätischen Gesamtverbandes. So heißt es da: Nur noch jeder dritte Erwerbslose beziehe Arbeitslosengeld, also die Versicherungsleistung, die sich am vorher erzielten Einkommen orientiert. Zwei Drittel seien hingegen auf Hartz-IV-Leistungen oder das Einkommen des Partners angewiesen. Auch das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung erodiere, so der Vorsitzende des Paritätischen, Rolf Rosenbrock. Er verwies am Dienstag auf den Umstand, dass die Rente allein kaum noch zum Leben reiche. So habe 2014 jeder Zweite eine Rente von unter 750 Euro monatlich bezogen. Zwar erhielten viele Pensionäre noch zusätzliche Leistungen, wie etwa eine Betriebsrente, doch ohne diese würden viele heute schon unter dem Grundsicherungsniveau liegen, machte Rosenbrock deutlich.

Der Vorsitzende räumte ein, dass 2015 rund 700 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden seien. Auch wirke der Mindestlohn stabilisierend und habe dazu geführt, dass 60 000 Menschen in Niedriglohnjobs nicht mehr zusätzlich auf staatliche Leistungen angewiesen seien. Doch auch im vergangenen Jahr sei es der Bundesregierung nicht gelungen, die hohe Zahl von einer Million Langzeitarbeitslosen spürbar zu verringern. Rosenbrock warnte: »Wo das Vertrauen in Sicherheit und Fairness bröckelt, da bröckelt auch der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.« Die AfD schlägt derzeit Profit aus der damit verbundenen Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung.

Der Paritätische plädiert für eine neue, »auf Integration und Teilhabe gerichtete Politik«. Dafür seien, so Rosenbrock, fünf Schritte vordringlich. So müsse die Langzeitarbeitslosigkeit bekämpft werden. Dazu zähle ein Ausbau von Qualifizierungsangeboten ebenso wie begleitende Hilfen, die man den Betroffenen im Bedarfsfall bieten müsse.

Nach Meinung des Verbandes müssten auch die Grundsicherungsleistungen angehoben werden. Die Hartz-Regelsätze etwa sollten auf 491 Euro steigen. Eine unabhängige Kommission müsste künftige Anpassungen überprüfen. Derzeit legt die Bundesregierung die Sätze nach einem nicht schlüssigen Verfahren fest, das zudem die verdeckte Armut unberücksichtigt lässt. Kaum verwunderlich, dass der Regelsatz für einen alleinstehenden Hartz-IV-Bezieher momentan bei 404 Euro liegt und somit fast 90 Euro unter dem vom Paritätischen errechneten Betrag.

Dritter Punkt im Forderungskatalog sind bessere Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten für Kinder aus Haushalten, die arm oder armutsgefährdet sind. Insgesamt 2,5 Millionen betroffene Minderjährige zählt der Sozialverband und plädiert für einen Rechtsanspruch auf Bildung und Teilhabe. Das von der damaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eingeführte Bildungs- und Teilhabepaket lehnt der Verband ab. Die derzeit für die Leistungen zuständigen Jobcenter sollten die Verantwortung Trägern überantworten, die etwas von Jugendarbeit verstünden, so Rosenbrock.

Der Verband drängt auf größere Anstrengungen bei der Bekämpfung von Altersarmut. Eine der Kernforderungen hier ist die Anhebung des Rentenniveaus. Zudem sollten bessere Voraussetzung für die Integration von Geflüchteten geschaffen werden. Die Sprachkurse sollten zügig aufgestockt werden und auch der Zugang zum Arbeitsmarkt schnellstens erleichtert werden. Deutschland, lobte Rosenbrock, habe bei der Aufnahme von Flüchtlingen ein hohes Maß an sozialem Zusammenhalt gezeigt. »Diese Kraft muss gepflegt und erhalten werden«, so Rosenbrock.

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