Meilenstein in Mogelpackung
Kabinett beschließt Integrationsgesetz - Grüne sprechen von Asylverschärfung
Wie kann die Integration hunderttausender Flüchtlinge in Deutschland gelingen? Muss oder darf der Staat sie erzwingen? Darüber wurde in den letzten Monaten erbittert gestritten, auch innerhalb der Koalition. Nun hat die Regierung auf ihrer Klausur im brandenburgischen Meseberg den Entwurf zum Integrationsgesetz beschlossen. Für die Bundeskanzlerin nicht weniger als ein »Meilenstein«.
»Fordern und Fördern« lautet das Leitmotiv. Oder, wie Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) es formuliert: »Wenn du dich reinhängst, dann wird auch was aus dir.« Der Entwurf schlägt einen Mix aus Pflichten und dem Ausbau von Integrationsmaßnahmen vor. Das Hauptaugenmerk aber liegt auf Pflichten und Sanktionen, für die sich insbesondere Innenminister Thomas de Maizière (CDU) stark gemacht hatte. Die Grünen bezeichneten den Entwurf als Mogelpackung. Parteichefin Simone Peter sprach von einer »weiteren Asylrechtsverschärfung«. Damit bastele die Koalition am »Stereotyp des faulen und arbeitsscheuen Flüchtlings«, so Peter.
Gefordert wird von den Flüchtlingen, dass sie sich zukünftig dort aufhalten, wo sie am meisten gebraucht werden - oder am wenigsten stören. Die sogenannte Wohnsitzauflage erlaubt den Bundesländern, Flüchtlingen den Umzug in eine bestimmte Stadt oder einen Bezirk zu verwehren. Dadurch soll den Verantwortlichen zufolge »Ghettobildung« in Großstädten verhindert werden. Alternativ kann das Bundesland dem Flüchtling eine bestimmte Kommune zuweisen. Letzteres war zwischen SPD und CDU umstritten. Ausgenommen sind Geflüchtete, die Arbeit oder eine Ausbildung an einem anderen Ort gefunden haben. Kommunale Vertreter befürwortet die Auflage. »Wir müssen die Flüchtlinge da leben lassen, wo sie am ehesten gebraucht werden«, sagt der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg. Regionen, in denen der demografische Wandel besonders große Probleme bereite, böten sich besonders an.
In punkto Fordern ist im Entwurf außerdem festgelegt, dass die Niederlassungserlaubnis an Integrationsbemühungen geknüpft werden soll. Nach fünf Jahren können Flüchtlinge sich dauerhaft in Deutschland niederlassen, wenn sie Sprachkenntnisse auf A2-Niveau nachweisen. Damit lässt sich ein Kaffee bestellen oder über das Wetter reden, komplexere Gespräche sind eher nicht möglich. Zudem müssen sie überwiegend selbst für ihre Ausgaben aufkommen, also einen Job haben, mit diesem aber nicht zwangsläufig ihren gesamten Lebensunterhalt allein bestreiten. Besonders gut integrierte Flüchtlinge - mit Deutschkenntnissen auf Niveau C1, quasi Muttersprachler, und höherem Einkommen - können die unbefristete Aufenthaltserlaubnis als Bonus für ihre Bemühungen nach drei Jahren erhalten. Bisher können anerkannte Flüchtlinge sich nach drei Jahren voraussetzungslos in Deutschland niederlassen, wenn sich an der Gefahrensituation in ihrem Heimatland nichts geändert hat.
Die strenge Hand des Staates bekommen all jene zu spüren, die Integrationsmaßnahmen verweigern. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten Flüchtlinge, bevor sie anerkannt sind, monatlich 361 Euro zuzüglich Kosten der Unterkunft. Integrationsverweigerern könnten diese Leistungen gekürzt werden. Auch Flüchtlinge, die schon einfache Sprachkenntnisse besitzen, sollen künftig zur Teilnahme an Integrationskursen verpflichtet werden. Weniger Leistungen bekommt zudem, wer Maßnahmen der Arbeitsagentur ausschlägt.
Neben einem umfassenden Sanktionskatalog enthält der Entwurf auch Vorhaben zum Ausbau der Angebote. Andrea Nahles (SPD) wies den Vorwurf von Flüchtlingsvertretern, das Gesetz fordere mehr als es fördere, als unbegründet zurück. Man könne keine Sanktionen verhängen, wenn man vorher keine Angebote gemacht habe, so die Arbeitsministerin.
Ihr Angebot sind 100 000 neue Ein-Euro-Jobs, eine »niedrigschwellige Heranführung« an den Arbeitsmarkt. Flüchtlingsinitiativen und Ökonomen kritisieren die Arbeitsmarktintegration über den subventionierten Niedriglohnsektor als ungerecht und ineffektiv. Zudem soll die sogenannte Vorrangprüfung für drei Jahre ausgesetzt werden. Bisher konnten Flüchtlinge nur dann einen Job annehmen, wenn für den Posten kein geeigneter Bewerber aus Deutschland oder der EU verfügbar war. Etwas weniger als sieben Prozent der Arbeitsanträge werden laut Arbeitsagentur wegen dieser Vorrangprüfung abgelehnt.
Wer in Deutschland eine Lehre beginnt, soll außerdem für die Dauer der Ausbildung einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten. Danach hat er sechs Monate Zeit, einen Arbeitsplatz zu finden. Gelingt das, wird die Aufenthaltserlaubnis um weitere zwei Jahre verlängert.
Der Entwurf verspricht außerdem einen Ausbau der Plätze in Integrationskursen und verkürzte Wartezeiten. Flüchtlinge sollen schon während des Asylverfahrens an solchen Kursen teilnehmen. Bisher stehen viele auf Wartelisten und harren Monate ohne Beschäftigung aus.
Vom Ausbau der Angebote profitieren allerdings nur Flüchtlinge, die eine gute Bleibeperspektive haben. Afghanen beispielsweise sind von der Teilnahme an Integrationskursen während des Asylverfahrens ausgeschlossen. Die Forderung an sie: rumsitzen und Däumchen drehen. Kommentar Seite 4
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