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Mittelmeer: Wieder viele tote Flüchtlinge befürchtet

Erneut mehrere Bootsunglücke / Überlebende sprechen von hundert Vermissten / Waisenkind aus Mali wird zum neuen Symbol der tödlichen Abschottung Europas

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Das Bangen um mindestens hundert Geflüchtete geht weiter: Nach mehreren Bootsunglücken im Mittelmeer werden viele Menschen vermisst. Die Überlebenden eines Unglücks vom Mittwoch, die nach ihrer Ankunft im sizilianischen Porto Empedocle befragt wurden, hätten von hundert Vermissten gesprochen, sagte ein Sprecher der Internationalen Organisation für Migration. Bei einem zweiten Unglück wurden bis zu 30 Tote befürchtet. IOM-Sprecher Flavio Di Giacomo sagte, die Überlebenden hätten ausgesagt, rund hundert Menschen seien im Rumpf des gekenterten Bootes gewesen.

Das völlig überladene Fischerboot war am Mittwoch vor der libyschen Küste gekentert, als sich ihm ein italienisches Marineschiff näherte. Die Marine hatte anschließend erklärt, 562 Menschen seien gerettet worden, doch seien mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen. Di Giacomo sagte nun aber, die Überlebenden hätten berichtet, bei der Abfahrt in Libyen hätten sich 650 Menschen an Bord befunden. Die Mehrheit von ihnen seien Marokkaner gewesen, eine Nationalität, die bisher unter den Flüchtlingen aus Libyen kaum vertreten war. Außerdem seien auch viele Tunesier und zwei syrische Familien an Bord gewesen, die seit langem in Libyen lebten.

Der IOM-Sprecher hob zudem hervor, dass es selten sei, dass ein solch großes Boot mit einem Stahlrumpf und so vielen Flüchtlingen an Bord aus Libyen startet. Sonst kämen solche Boote vor allem aus Ägypten. Di Giacomo sagte, sollten sich die Berichte der Überlebenden zur Zahl der Opfer bestätigen, wäre es »eine der größten Tragödien auf See« seit Beginn der Flüchtlingskrise im Mittelmeer.

Wegen des guten Wetters kommen derzeit besonders viele Flüchtlinge über das Mittelmeer. Laut der italienischen Küstenwache wurden in den vergangenen vier Tagen 10.000 Menschen gerettet. Allein am Donnerstag wurden bei 22 Rettungseinsätze rund 4.000 Flüchtlinge geborgen. Allerdings starben bei einem weiteren Schiffsunglück nach ersten Angaben 20 bis 30 Menschen. Ein luxemburgisches Flugzeug habe 65 Kilometer vor der libyschen Küste ein gekentertes Boot entdeckt, teilte ein Sprecher der EU-Marinemission »Sophia« mit. Dutzende Flüchtlinge hätten auf dem Rumpf gestanden, der bereits unter der Wasseroberfläche schwamm, während 20 bis 30 Leichen im Wasser getrieben seien. Demnach konnten 96 Menschen gerettet werden.

Unterdessen wurde ein Waisenkind aus Mali zum neuen Symbol der tödlichen Abschottung Europas: Die neun Monate alte Favour traf am Mittwoch auf der Insel Lampedusa ein - ohne ihre Eltern, die beim Kentern ihres Flüchtlingsbootes am Dienstag ertranken. Der italienische Arzt Pietro Bartolo, der durch den Dokumentarfilm »Fuocoammare« bekannt geworden ist, kündigte an, das Waisenkind aufzunehmen.

»Ich habe beantragt, dass sie in meine Obhut kommt«, sagte Bartolo. Das Mädchen und seine Eltern gehörten zu rund 120 Insassen eines Bootes, in dem vor allem Flüchtlinge aus Mali und Nigeria über das Mittelmeer nach Italien unterwegs waren. Das Boot kenterte am Dienstag, als die Insassen ein zu ihrer Rettung eintreffendes Schiff sahen und auf dieselbe Bootsseite stürmten. Agenturen/nd

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