Bürgermeister für fast alle Londoner

Labour-Politiker Sadiq Khan nimmt sich der sozialen Probleme in seiner Stadt an

  • Ian King , London
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Sohn eines pakistanischen Busfahrers bezwingt den Nachwuchs eines EU-feindlichen Milliardärs mit knapp 57 Prozent der Stimmen und wird Londoner Oberbürgermeister - das ist kein modernes Märchen, sondern die Geschichte des britischen Politikers Sadiq Khan. Diese Entwicklung kommt allerdings nicht aus dem Nichts: Jurastudium an der Nordlondoner Universität, Menschenrechtsanwalt, elf Jahre lang Abgeordneter des Multikulti-Wahlkreises Tooting, dann Staatssekretär im Verkehrsministerium, zuletzt Schattenminister für Justiz unter Ed Miliband - dies sind die wichtigsten Stationen in der Karriere von Labours derzeit erfolgreichstem Amtsträger. Jetzt thront der 45-jährige Muslim in der City Hall.

Beherzt geht der Neue, der bei seiner Amtseinführung ankündigte, Bürgermeister aller Londoner sein zu wollen, an die Arbeit. Die U-Bahn soll ab August auch nachts fahren. »Das hat für mich Priorität, die wiederholten Verzögerungen des Starts unter meinem konservativen Vorgänger haben Schichtarbeitern und Feiernden das Leben erschwert«, so Khan. »Hopper«-Fahrpreise von umgerechnet zwei Euro für beliebig viele Busfahrten innerhalb einer Stunde sollen ab September leidgeprüften Pendlern helfen; ein »Giftzuschlag« auf umweltverschmutzende Autos, Transporter und Laster soll zudem ab Januar die bis zu 9400 Todesfälle pro Jahr durch Luftverpestung in der Hauptstadt Großbritanniens reduzieren. Khan ist selbst Asthmatiker, weiß um die Dringlichkeit seines Tuns. Simon Birkett, Gründer einer Organisation für saubere Luft in London, lobt »das starke Signal gegen umweltverschmutzende Fahrzeuge«. Professor Frank Kelly, Experte für Umwelt- und Gesundheitsschutz am King’s College, kontrastierte Khans Handeln mit den hochfliegenden Plänen seines Vorgängers Boris Johnson, der trotz eifrigen Radfahrens für die Pressefotografen »zu wenig und zu spät« in der Luftverschmutzungsfrage getan habe.

Die konservative Kampagne gegen den »radikalen Muslim« Khan ging in der Metropole besonders bei jüngeren, gut ausgebildeten Wählern ins Leere. Jetzt rächte sich der Sieger auf vornehme Art: Sein unterlegener Tory-Gegenspieler sei »nicht der engagierte Umweltschützer Zac Goldsmith, den ich kenne«, meinte Khan. Stärkere Worte fand er für einen gefährlicheren Gegner: er wolle schnell die Bürgermeister Bill Di Blasio und Rahm Emanuel in New York und Chicago besuchen, um Ideen auszutauschen. Denn ab Januar sei dies wegen der Politik der geschlossenen Türen gegenüber Muslimen des US-Kandidaten Donald Trump nicht mehr möglich. Dieser entschuldigte sich postwendend, fand Khans Wahl »ein sehr positives Zeichen«. Doch der Gewählte ließ nicht locker. Trumps Ausschlusspolitik und Unwissenheit seien nicht dadurch erträglicher geworden, dass er für den Londoner OB gnädig eine Ausnahme mache, sondern bleibe eine Beleidigung für die große Mehrheit gemäßigter Muslime sowie eine Ermunterung für Extremisten aller Art. Trump, kein Freund offener Widerworte, schmollte. Eins zu Null für Khan.

Der Londoner »Evening Standard« erging sich in Lobpreisungen für den Wahlsieger, selbst konservative Kolumnisten wie Matthew d’Ancona äußern zähneknirschend Zustimmung zu den ersten Schritten des Bürgermeisters. Doch auf dem überteuerten Wohnungsmarkt wartet auf den Neuen eine weitere Herausforderung. Khans Vorgänger Johnson waren Luxusresidenzen als Finanzanlagen für saudische Ölscheichs und russische Oligarchen wichtiger als bezahlbares Wohnen. Mit Recht versprach Khan Druck auf Bauland hortende Privatfirmen, die auf unverdiente Preiserhöhungen spekulierten, auszuüben. Mag Premier David Cameron auf hohe Häuserpreise für - vor allem - Tory-Eigentümer setzen, Khan weiß, dass die Metropole auf LehrerInnen, KrankenpflegerInnen, Feuerwehrleute und eben BusfahrerInnen angewiesen ist, die zurzeit durch hohe Preise immer weiter an die Stadtgrenzen gedrängt werden.

Weitere Herausforderungen lauern auf Gebieten, die Khan nur indirekt beeinflussen kann. Die Radikalisierung inhaftierter Muslime droht: Gefängnisse wie Belmarsh züchten Extremisten, die konservative Regierung leistet den Radikalen ungewollt Vorschub. In der Frage des Ausbaus der Londoner Flughafenkapazität ist eine Entscheidung fällig, ob zugunsten von Heathrow - wie von den meisten Industriellen gefordert - oder von dem weiter entfernten Gatwick. Auch hier bleibt das letzte Wort bei der Tory-Regierung, aber der mit frischem Wählermandat versehene Khan hat ein gewichtiges Wort mitzureden.

Als Anhänger und Förderer der Kunstszene hat sich der Neue zu erkennen gegeben, als Sportfan ebenfalls. Nur in einer Frage hat Khan nicht überzeugt: sein Ja zum Weiterbau der »Gartenbrücke« in der Stadtmitte, die zwar von Privatförderern angeregt wurde, aber mit Hilfe von Millionen Steuergeldern gebaut werden soll. Diese Verschwendung hätte Khan stoppen können und sollen, so Ian Jack im linksliberalen »Guardian«. Aber dennoch kann von einem hoffnungsvollen Start für den neuen OB gesprochen werden. Labour-Chef Jeremy Corbyn, der in den Umfragen noch hinter den Konservativen liegt, kann froh sein ob des Sieges und der bisherigen Arbeit von Khan.

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