Dschihadistenmiliz wird vertrieben
Die irakische Stadt Falludscha könnte an die Regierung fallen / Bagdad braucht aber auch ein politisches Konzept
Meldungen der irakischen Armee sind mit Vorsicht zu genießen, besonders wenn es sich um Erfolgsmeldungen handelt. Sollten die Berichte vom Montag aus Falludscha tatsächlich nah an der Realität sein, dann ist den Streitkräften der bisher wichtigste militärische Erfolg gegen Milizen des Islamischen Staats (IS) gelungen; man könnte auch sagen: der erste, der dieses Prädikat verdient.
Falludscha, etwa 50 Kilometer westlich von Bagdad, hatte vor dem Einfall der IS-Milizen und deren recht müheloser Machtübernahme in der Stadt rund 330 000 Einwohner. Genaue Angaben von damals über die Invasoren liegen nicht vor. Aber man darf davon aus gehen, dass es ihnen vor reichlich zwei Jahren mit wenigen tausend bewaffneten Kämpfern gelungen war, die Regierungstruppen nicht einfach nur zu vertreiben. Es muss eine panische Flucht der eigentlich waffentechnisch und zahlenmäßig überlegenen Regierungssoldaten gegeben haben. Sie ließen alles zurück, was bei der Flucht hinderlich war, zum großen Ärger der US-Amerikaner auch alle von diesen an die Iraker gelieferten schweren Waffen.
Die IS-Dschihadisten waren damals fanatisiert und hoch motiviert - ob sie es heute noch in dem Maße sind, ist zu bezweifeln. Das allein aber hätte nie zum handstreichartigen Sieg reichen dürfen. Hauptgrund dafür war der desolate Zustand der irakischen Armee. Sunniten und alle anderen, auch Christen, die in der irakischen Armee bis zum Sturz von Saddam Hussein Rang und Befehlsgewalt hatten, waren von der nunmehr schiitischen Regierung teils bis zu den Unteroffiziersdienstgraden ausgestoßen worden.
Die »Neuen« waren, so sie überhaupt etwas von Militär verstanden, nicht selten zuerst darauf bedacht, sich die Taschen zu füllen. Geld und Waffen gab es genug.
Falludscha wiederum ist in einer zu fast zwei Dritteln aus Schiiten bestehenden irakischen Bevölkerung eine Hochburg der Sunniten, die von den pauschalen Degradierungen in Armee, Politik und Staat nach der Hinrichtung des Sunniten Saddam besonders betroffen war. Auch deshalb wird der Widerstand der - sunnitischen - Bevölkerung gegen die IS-Milizen damals nicht erheblich gewesen sein.
Heute ist die Situation unübersichtlich. Ob zum Beispiel tatsächlich nur 50 000 Zivilisten in der Stadt sind, wie AFP-Korrespondent Jean Marc Mojon schreibt, steht dahin. Zutreffend dürfte sein, dass die Versorgungslage infolge des Abschneidens mancher Verbindungswege zuletzt immer schlechter geworden ist.
Die Dschihadisten haben es dort in Irak und Syrien, wo sie Orte aufgeben mussten, bisher nie auf einen Häuserkampf ankommen lassen, sondern sind geordnet abgezogen. In sunnitischen Gebieten nördlich und westlich haben sie durchaus Rückzugsräume, bis hin zur Millionenstadt Mossul, die liegt allerdings fast 400 Kilometer entfernt.
Sollten die Regierungstruppen Falludscha ganz einnehmen, ohne größere Zerstörungen anzurichten, gälte es für die aktuelle Regierung, den Beweis anzutreten, dass sich ihre Politik gewandelt hat: Wenn es die pauschale Diskriminierung von Sunniten und Amtsträgern, die in der Baath waren, der Staatspartei zu Saddams Zeiten, nicht mehr gibt, sollte man wenigstens einige von ihnen - auch Frauen, auch Christen - in den neuen Führungsstrukturen wiederfinden.
Und, was für einen friedlichen und glaubwürdigen Neuanfang ebenso bedeutsam ist: Es sollte der Teufelskreis der Rache an den »Kollaborateuren« der Unterlegenen durchbrochen werden, der sich durch die wechselvolle Zeit seit Jahrtausendbeginn zieht. Doch zunächst muss die militärische Lage geklärt sein.
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