Die Schläge der Verzweifelten

Im Kampf gegen die AfD hilft keine Gewalt, sondern eine neue Politik der gesellschaftlichen Linken

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 9 Min.

»Gewalt gegen Nazis wirkt«, sagt Horst Schöppner. Und schlägt damit vor, im Kampf gegen die erstarkende Rechte auf Antifa-Straßenkampfmethoden der 80er und 90er Jahre zurückzugreifen. Das wird nicht helfen. Gewalt ersetzt keine politische Strategie gegen Rechts, gegen Pegida, gegen die AfD, gegen für rassistische Ressentiments offene Teile der Gesellschaft. Wer jetzt Gewalt als Lösung sieht, versteckt sich vor der eigentlichen Herausforderung.

Gewalt gegen Nazis und Gewalt durch Nazis

Die Legitimierung von Gewalt gegen Neonazis empört viele. Doch die meisten der Empörten haben sich selbst vermutlich selbst nie in der Situation befunden, gewaltbereiten Neonazis ausgeliefert zu sein. Nazis gründen ihre Kultur auf Hass und Gewalt. Sie üben regelmäßig Gewalt gegen als »anders« Definierte aus, gegen Menschen, die dem äußeren Anschein nach einen Migrationshintergrund haben, gegen Homosexuelle und gegen Antifaschisten. Wer aus den genannten Gruppen nachts in einer einsamen S-Bahn oder in einer ruhigen Straße in Berlins Randbezirken einem Nazi begegnet ist, weiß: Argumente helfen hier nicht. Wer nicht selbst zuzuschlagen weiß oder schnell rennen kann, wird auseinander genommen. Nazis zünden Flüchtlingsunterkünfte an, Nazis verprügeln Flüchtlinge. Seit Januar 2016 gab es 351 Angriffe auf Unterkünfte, fast 190 Menschen wurden dabei und bei tätlichen Übergriffen verletzt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder zu Toten kommt.

Gewalt kann hier in dem Sinne »helfen«, als dass die Präsenz gewaltbereiter Antifa-Strukturen eine Zeitlang tatsächlich Nazis eingeschüchtert hat, ihre Gewaltausbrüche reduziert hat, sie schließlich aus einigen Stadtteilen großer Städte und aus Dörfern vertrieben hat. Gewalt gegen Nazis – in größeren Anteilen wohl vielmehr die Bereitschaft und das Potenzial dazu – hat Freiräume geschaffen, für Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe, für Homosexuelle, für Antifas. Dennoch ist Gewalt gegen Nazis nicht zu verherrlichen. Gewalt verstört alle Beteiligten, sie traumatisiert, sie brutalisiert. Sie hat eine Mackerkultur in der Antifa hervorgebracht, die vor Sexismus strotzte. Und sie ist das Mittel, zu dem Antifas greifen, nachdem die andere Teile der linken Zivilgesellschaft völlig versagt haben. Es ist jedoch keine sinnvolle Strategie, in Sachsen 24 Prozent oder in Hessen 13 Prozent AfD-Wähler*innen zu schlagen.

Das Phänomen Ufo I: Ende Gelände, oder: Wer sind hier eigentlich die »Nazis«?

Bei den Anti-Kohle-Aktionen in der Lausitz haben Linke die Erfahrung machen müssen, gewaltbereiten Neonazis hilflos ausgeliefert zu sein. Junge Aktivist*innen rannten vor Nazis weg in ihre Autos, konnten die Tür gerade noch schließen, bevor Rechtsextreme auf der Kühlerhaube und an den Türen hämmerten, den Baseballschläger in der Hand. Mindestens zwei Aktivist*innen wurden am Rande des Klimacamps von Neonazis verprügelt und verletzt. Die Aktivist*innen in der Lausitz riefen nach »alten Antifas«, die aus Berlin zu Hilfe eilen sollten. Damit die Nazis von Menschen, die im Nahkampf erfahren sind, eingeschüchtert werden und sich zurückziehen. Anders wusste man sich nicht zu helfen. Die Polizei hält sich gegen Neonazis auffällig oft zurück. Auch in der Lausitz ging sie erst nach Tagen gegen die marodierenden Rechten vor, indem sie ihre Personalien aufnahm. Anders als die Klimaaktivist*innen wurden sie nicht über Nacht festgenommen.

Das eigentliche politische Problem in der Lausitz ist jedoch ein anderes: Die gewaltausübenden Neonazis sind gesellschaftlich verankert. Sie laufen in der Pro-Kohle-Demonstrationen des Vereins »Pro Lausitz« mit, gemeinsam mit Bürgern, die durch den Anti-Kohle-Protest ihren Arbeitsplatz in Gefahr sehen. Rund 8000 Menschen arbeiten in der Region im Tagebau oder im Kraftwerk. Wenn Klimaaktivisten aus ganz Deutschland und Europa, vorwiegend junge Studierende ohne Familie und ohne Berufserfahrung, wie ein Ufo in der Lausitz landen und den »sofortigen Ausstieg aus der Kohle« fordern, klimapolitisch legitim – sozialpolitisch eine Herausforderung, weckt das in diesen 8000 Menschen gewisse Aggressionen. Neonazis nutzen diese Stimmung aus, um zuzuschlagen. Gewalt hilft, um sich zu verteidigen, und vielleicht auch, um diese Schläger für eine gewisse Zeit zurück zu drängen. Sie hilft jedoch nicht, um die politischen Spannungen in der Region zu lösen. Das kann nur eine gute Sozialpolitik, die rechtes Gedankengut vielleicht nicht abschafft, aber Neonazis und Rechtspopulisten den Raum nimmt.

Das Phänomen Ufo – II: »Dresden nazifrei« und die Nachhaltigkeit

Schöppner nimmt als Beispiel für den Erfolg von Gewalt gegen Nazis »Dresden Nazifrei«. Die Aktion war keine Prügelorgie, sondern organisierter massenhafter ziviler Ungehorsam: Europas größter Naziaufmarsch wurde blockiert und damit faktisch beendet. Ein wichtiger antifaschistischer Erfolg. Wer dabei war, weiß: Erfolgreich waren die Blockaden, weil an der einen oder anderen Stelle der auf Gewaltfreiheit setzende Aktionskonsens nicht zu 100 Prozent eingehalten wurde. Die Polizei stellte sich massiv in den Weg und versuchte, die linken Aktivisten mit Gewalt – Schlagstöcken und Pfefferspray – von der Naziroute fern zu halten. Polizeiketten »durchfließen«, das hieß in Dresdens engen Straßen auch mal: Ein bisschen drücken, ein bisschen quetschen, ein bisschen hauen. Erst dann kam es zum Durchbruch.

Aber war »Dresden nazifrei« rundum ein Erfolg? Auch hier gilt das gleiche wie bei »Ende Gelände«: Die eigentliche Aktion wurde von Antifas durchgeführt, die Ufo-mäßig aus ganz Deutschland eingeflogen kamen. Die lokale Verankerung des Bündnisses »Dresden nazifrei« war dürftig. Nach erfolgreicher Aktion zogen sich die meisten Aktivisten wieder aus der Stadt zurück. In Antifa-Gruppen wurde durchaus darüber gesprochen, dass das ein Problem darstellt, dass man nach 2011 »eigentlich« verstärkt Basisarbeit in Dresden machen müsste. Im Kleinen passiert das. Doch wird wesentlich weniger Energie in die Kommunikation mit der Bevölkerung gesteckt, als in Aktionen, die auf Blockaden setzen. Schöppner fragt, ob Pegida sich weiter versammeln würde, wenn die Teilnehmer von 1000 Antifas angegriffen würden. Jedenfalls so viel kann man sagen: »Dresden nazifrei« hat das nicht verhindern können.

Reden mit Rassisten?

Das Konzept Antifa kennt im Prinzip – stark vereinfacht – zwei Personengruppen: Nazis und Antifaschisten. Nazis sind menschenfeindlich, brutal, gefährlich und gehören blockiert, geschlagen, mundtot gemacht. Antifaschisten sind die Guten, die Verteidiger der Menschenrechte, diejenigen, die verhindern, dass Flüchtlingsheime brennen und rassistischer Hass gedeiht. Im konkreten Straßenkampf gegen Naziaufmärsche passt das so.

In der restlichen Gesellschaft jedoch stellt sich die Situation wesentlich komplexer dar. Es gibt Neonazis und Rechtspopulisten, die überzeugt sind von ihrem rassistischen, sexistischen und sozialchauvinistischen Gesellschafts- und Menschenbild, und die bringt auch niemand mehr davon ab. Wer die AfD einlädt und mit rechten Politikern diskutieren will, macht meist die Erfahrung, ihnen damit eine Bühne zu bieten. Aber es gibt auch viele Menschen, die sich von der etablierten Politik abwenden, die genug davon haben, sich von der SPD soziale Politik versprechen zu lassen, um nach der Wahl mit Hartz IV und der Vorratsdatenspeicherung oder TTIP leben zu müssen. Die dann eher Leuten vertrauen, die Flüchtlinge an der Grenze erschießen wollen, als Politikern, die versprechen, dass die Integration von Flüchtlingen für sie keinen sozialen Abstieg bedeutet.

Die Haltung dieser »besorgten Bürger« ist rassistisch. Sie begehren lieber gegen »Andere« auf, gegen Flüchtlinge oder Muslime, als etwa für ihre Rechte am Arbeitsplatz zu kämpfen. Der Antifa-Reflex, sie deshalb wie Nazis blockieren zu wollen, ist jedoch strategisch nicht sinnvoll. Wovor sich die radikale Linke aufgrund der Antifa-Tradition gerne drückt, ist die argumentative Auseinandersetzung mit Menschen, die nicht links sind, die politisch orientierungslos oder vielleicht sogar offen für eine rechte Haltung sind. Wenn sich 300 Anwohner im Berliner Randbezirk Altglienicke treffen, um ihre soziale Angst gegen eine Flüchtlingsunterkunft zu richten, spricht niemand mit ihnen – außer Nazis, die AfD, rechte CDU-Abgeordnete. Das kann nicht gut gehen.

Linke müssen vor Ort sein. Sie müssen sich trauen, auch mal mit rassistischen Menschen zu sprechen, so lange diese noch offen für Argumente sind. Begegnungsstätten zwischen Anwohnern und neuen Nachbarn schaffen, Möglichkeiten, rassistische Ressentiments abzubauen. Bürgerversammlungen zu geplanten Flüchtlingsunterkünften organisieren und sie nicht den Rechten überlassen, die sich darauf stürzen. Erfahrungen im Kontakt mit Menschen, die als »anders« dargestellt werden, helfen besser und nachhaltiger als jedes Argument – und als jeder Schlag ins Gesicht. Die Gefahr, bei dieser Arbeit von Nazis angegriffen zu werden, ist hoch. Kampferprobte Antifas wären also gute Begleiter.

Weg von der Reaktion, hin zur Offensive: Mit dem dritten Pol Politik neu entwickeln

All diese Überlegungen sind taktischer Natur. Was wirklich gegen Rechts hilft, ist jedoch nicht die Reaktion, sondern die Offensive. Eine neue Politik. Eine partizipative, soziale, ehrliche Politik jenseits des autoritär regierenden Machtpols und des sich radikalisierenden Rechtspopulismus: eine Politik des dritten Pols. Es reicht nicht, gegen die AfD zu sein. Breite Bündnisse wie »Aufstehen gegen Rassismus« und linke Kongresse wie »Welcome 2 Stay« in Leipzig sind notwendig und wichtig. Aber sie reichen nicht. Alles muss anders.

Die Sozialdemokraten haben mit ihrer »sozialen Marktwirtschaft« das Projekt der Sozialdemokratie an die Wand gefahren. Eine Politik, die sich am Kapitalismus orientiert und nicht an den demokratischen Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung, obwohl sie das Gegenteil behauptet, findet kein Vertrauen mehr. Selbst die »neue Rechte« spricht über Demokratie und Partizipation. Die Linke muss zeigen, dass das ihr Metier ist. Sie muss neue Formen der Demokratie ausprobieren, wie »Nuit Debout« in Frankreich es auf den Plätzen und im Zusammenführen verschiedener linker Kämpfe versucht. Wie Diem und Blockupy es mit ihren Versammlungen und Kampagnen versuchen, auch wenn es die Akteure hier bisher nicht in die Breite schaffen.

Es gilt, nach vorne zu gehen, nicht zurück: Transnationale, radikaldemokratische Experimente wagen, und gleichzeitig lokal in die Diskussion gehen, auch mit jenen, die nicht links sind, die nicht antirassistisch sind. Dabei: Haltung bewahren. Nicht einknicken, nicht auf Stimmenfang gehen.

Der dritte Pol ist nicht klein, es ist ein Lager aktiver Humanist*innen, das rund ein Viertel der Gesellschaft umfasst. Dieses Lager hat keine politische Repräsentation, es hat auch noch keine politischen Instrumente entwickelt. Hier müssen Linke aktiv werden, neue Formen entwickeln, sich aus der verwalteten Linken des alten Establishments heraus trauen. Erst wenn die Linke ein überzeugendes politisches Angebot hat, kann der Rechten Einhalt geboten werden. Müssen verzweifelt Schläge eingesetzt werden, gibt es dieses Angebot noch nicht.

Weitere Beiträge der Debatte:

»Gewalt gegen Nazis wirkt« von Horst Schöppner

»One Solution: Feminism! Im Kampf gegen die AfD müssen wir Antifaschismus und Feminismus gleichberechtigt zusammendenken« von Anna Berg und Tanya Zorn, aus »ak - analyse & kritik« Nr. 616

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